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Grundsätze
für die Einrichtung von Mobilen Sozialen Diensten

Vom 8. Dezember 1992

(ABl. 1993 S. 63)

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1. Situation

Seit Mitte der 80er Jahre schrumpft das familiäre Pflegepotenzial stetig, gleichzeitig steigt die absolute Zahl der Pflegebedürftigen und ihr individueller Hilfebedarf.
Wo durch die gesellschaftliche Entwicklung immer mehr ursprünglich von Familienangehörigen wahrgenommene Aufgaben durch organisierte Hilfen ersetzt werden müssen, werden vor allem die in der ambulanten Fachkrankenpflege tätigen Träger mit ihrem derzeitigen Angebot von Diensten nur in einem Teilbereich diesem individuellen Hilfebedarf von gebrechlichen, behinderten oder kranken Menschen gerecht. Für den sinnvollen Einsatz der ambulanten Krankenpflege ist aber die Sicherstellung einer häuslichen Grundversorgung Voraussetzung.
Zur Verbesserung einer ambulanten Versorgungsstruktur ist es deshalb erforderlich, dass die Grundsicherung der häuslichen Versorgung für gebrechliche, behinderte oder kranke alte Menschen durch das Angebot leistungsfähiger Mobiler Sozialer Dienste ausgebaut wird.
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2. Begriff

Mobile Soziale Dienste (MSD) sind Einrichtungen zur ambulanten Versorgung und Unterstützung kranker, alter oder behinderter Menschen in ihrem Haushalt. Sie bilden neben der mobilen Krankenpflege die zweite wesentliche Säule im System ambulanter Altenhilfe.
Ziel der Arbeit ist die den jeweiligen Lebenslagen angepasste Erhaltung und Förderung der selbstständigen Lebensführung.
Der Mobile Soziale Dienst ist ein eigenständiger Arbeitsbereich mit genauer Aufgabendefinition. Er ergänzt nicht nur die Fachkrankenpflege der Diakoniestationen, sondern wird auch dort aktiv, wo gebrechliche Menschen Hilfe bei ihren alltäglichen Verrichtungen brauchen, um weiter in ihrer Häuslichkeit leben zu können, oder wo pflegende Angehörige Unterstützung und Entlastung benötigen.
Soweit Mobile Soziale Dienste von Diakonie und Kirche eingerichtet werden, sind sie begründet in der Einheit von Leib- und Seelsorge, die Teil des christlichen Zeugnisses von der Zuwendung Gottes zum ganzen Menschen in Jesus Christus ist. Sie sind eine Form des Dienstes der Gemeinde an ihren Gliedern, die dieser Dienste bedürfen, und sollten eng mit dem Leben der Ortsgemeinde verbunden sein.
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3. Aufgaben der Mobilen Sozialen Dienste

Zum Aufgabenbereich Mobiler Sozialer Dienste gehören insbesondere:
  1. Aufgaben im Haushalt:
    • Sicherung der Mahlzeiten (Einkaufen, Zubereiten, ggf. Essen auf Rädern)
    • Sauberhalten und Pflege der Wohnung (z. B. Spülen, Putzen, Staubsaugen, Müll beseitigen), soweit die Leistung gemeinsam mit Aufgaben pflegerischer/sozialer Art erforderlich wird
    • hauswirtschaftliche Versorgung nach § 37/SGB V (ohne Grundpflege)
    • hauswirtschaftliche Versorgung nach § 55/SGB V (mit Grundpflege unter fachlicher Anleitung)
    • alle Leistungen nach § 38/SGB V
    • Wäscheversorgung/-reinigung regeln
    • Heizung (insbesondere bei Ofenheizung) sichern
    • kleine Reparaturen vornehmen
  2. Aufgaben pflegerischer Art, soweit Fachkrankenpflege nicht erforderlich ist
    • Körperpflege, insbesondere:
      Baden und Waschen
      Rasieren
      Kämmen
    • Kleiden
    • Hilfe beim Toilettengang
    • Hilfe beim Bewegen in der Wohnung/beim Zubettgehen
    • Inkontinenzeinlagen wechseln
    • Mobilisieren
  3. Aufgaben zur sozialen Betreuung
    • Aktivieren, d. h. Anreize zur Belebung brachliegender Fähigkeiten schaffen, vorhandene Kompetenzen fördern
    • Kontakt zur Umwelt ermöglichen (Begleitung/Vermittlung)
    • Unterhaltung ermöglichen (Gespräche, Vorlesen, Besuche)
    • Post erledigen und beim Umgang mit Behörden helfen
    • Angehörige vertreten, die demenziell erkrankte Menschen versorgen
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4. Trägerschaft

Für die Trägerschaft Mobiler Sozialer Dienste kommen grundsätzlich die gleichen Träger wie für Diakoniestationen in Frage (Kirchengemeinde, Dekanate, kirchliche Arbeitsgemeinschaften und kirchliche Zweckverbände). Wenn der Träger der Diakoniestation zugleich Träger der Mobilen Sozialen Dienste ist, was wegen der Verzahnung der Leistungen in der “häuslichen Krankenpflege” und der “häuslichen Pflegehilfe” naheliegt, sollte dennoch der Mobile Soziale Dienst in Leitung und Arbeitsstruktur selbstständig organisiert sein. Die Überschaubarkeit der Dienste ist dabei von besonderer Wichtigkeit.
Unter der Voraussetzung einer verlässlichen Kooperation kommen für eine Trägerschaft insbesondere auch die bisher in diesem Bereich schon tätigen ambulanten Dienste, wie z. B. die Johanniter-Unfall-Hilfe, in Betracht. Unter bestimmten Bedingungen können Mobile Soziale Dienste aber auch an stationäre Einrichtungen, die sich in dieser Weise in die Region öffnen wollen, angebunden sein.
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5. Mitarbeiter

Mitarbeiter von Mobilen Sozialen Diensten müssen Fachkräfte sein, die für den Einsatz im Haushalt eines alten und/oder pflegebedürftigen Menschen qualifiziert sind. Werden Hilfskräfte eingesetzt, ist sicherzustellen, dass sie eine fachliche Einführung und Begleitung erfahren. Der Einsatz der Mitarbeiter wird durch eine hauptamtliche Fachkraft organisiert und koordiniert, die neben fundierten Kenntnissen über Altersvorgänge auch ein ausreichendes Wissen über sozialrechtliche Ansprüche des Hilfebedürftigen haben muss und über Erfahrung im Umgang mit Behörden verfügt.
Für die je nach Einzelfall unterschiedlichen Anforderungen (Zeitumfang und Grad der Pflegebedürftigkeit) der häuslichen Versorgung ist es erforderlich, dass die Zahl der Fachkräfte und nicht fachlich ausgebildeten Mitarbeiter, die Zahl der hauptamtlich Beschäftigten, der nebenamtlichen Kräfte und der Ehrenamtlichen in einem ausgeglichenen Verhältnis steht.
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6. Einzugsbereich

Der Einzugsbereich von Mobilen Sozialen Diensten soll so begrenzt sein, dass nicht eine anonyme Hilfsinstitution entsteht, sondern der Hilfsbedürftige einer überschaubaren Zahl von Helfern begegnet, und eine intensive Zuwendung, die dem Grundsatz der Ganzheitlichkeit der Hilfe entspricht, möglich wird. Aus diesen Gründen kann der Einzugsbereich der vorhandenen Diakoniestation für die Mobilen Sozialen Dienste als regionaler Maßstab dienen. Dies ermöglicht zudem eine funktionale Aufteilung und erleichtert die Koordinierung der verschiedenen Angebote.
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7. Kooperation auf Ortsebene bzw. in der Region

Um das Wahlrecht des Hilfsbedürftigen zu sichern, können Mobile Soziale Dienste verschiedener Träger am gleichen Ort bzw. in der gleichen Region entstehen. Die Koordinierung dieser Dienste muss jedoch gesichert sein. Eine gesonderte Koordinierungsstelle in kommunaler, regionaler oder freier Trägerschaft birgt jedoch die Gefahr, dass das Eigenprofil der Träger verwischt, und Hilfe behördlich oder quasi-behördlich zugeteilt wird. Die Arbeitsgemeinschaft nach § 95 BSHG ist ein geeignetes Instrument, die notwendige Koordinierung durchzuführen, wenn das zuständige Sozialamt seine Informations- und Beratungsaufgaben gegenüber dem Hilfe Suchenden oder seinen Angehörigen wahrnimmt. Diese Form der Kooperation ermöglicht ebenfalls eine regionale und funktionale Zuordnung, die die Eigenständigkeit der unterschiedlichen Träger betont und ihren spezifischen Grundlagen Rechnung trägt.
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8. Finanzierung

Zur wirtschaftlichen Sicherung der Mobilen Sozialen Dienste ist eine leistungs- und kostengerechte Finanzierung erforderlich. Die Leistungen der Mobilen Sozialen Dienste sind grundsätzlich entgeltlich, soweit es sich nicht um seelsorgerliche Betreuung und Besuchsdienste handelt. Die Finanzierung der Leistungen erfolgt
  • durch sozialverträgliche Entgelte der Nutzer des Mobilen Sozialen Dienstes
  • durch Leistungsentgelte von Sozialversicherungsträgern
  • durch Leistungsentgelte der örtlichen Sozialhilfeträger.
Hinzu kommen können im Einzelfall
  • Zuschüsse kommunaler Gebietskörperschaften
  • Zuschüsse des Landes
  • Eigenmittel des Trägers.