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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:04.02.1994
Aktenzeichen:KVVG I 3/93
Rechtsgrundlage:Art. 6,7,29,30,33 KO; §§ 2,29 KGO; §§ 2,6,18 KVVG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Antragsberechtigung, Dekan, Klagefrist, Mitgliederzeitschrift, Rechtliche Interessen
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Leitsatz:

zum Urteil des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der EKHN – 1. Kammer – vom 4. Februar 1994 – Az. I 3/1993 –
(Einführung und Verteilung einer Mitgliederzeitschrift)
1. Ein Dekan, der einen synodalen Beschluss über die Einführung einer Mitgliederzeitschrift anficht, weil er der Auffassung ist, dass es gegen kirchliches Recht verstoße, wenn die Zeitschrift ohne Zustimmung des jeweiligen Kirchenvorstandes an die Gemeindemitglieder verteilt wird, ist nicht im Sinne des § 6 Nr. 2 a) KVVG antragsberechtigt; er ist in seiner Stellung als Dekan durch die von der Gesamtkirche veranlasste Verteilung der Zeitschrift nicht in seinen rechtlichen Interessen berührt.
2. Der Dekan hat als Beauftragter des Dekanats (Art. 29 KO) und als Beauftragter der Kirchenleitung (Art. 30 KO) eine Doppelstellung. Seine Rechtsposition umfasst nicht die Aufgabe, Kirchengemeinden gegenüber der Gesamtkirche durch Anrufen des Kirchengerichts in Schutz zu nehmen.
3. Ein Kirchenvorstand, der sich oder seine Gemeinde durch Maßnahmen der Ge-samtkirche beeinträchtigt fühlt, kann als kirchliches Organ seine rechtlichen Interessen selbst wahrnehmen.

Tenor:

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer.
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Tatbestand:

Die Achte Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau verhandelte auf ihrer zweiten Tagung am 30. November 1992 einen Leitantrag der Kirchenleitung (Drucksache 35/92), der die Einführung einer neuen Mitgliederzeitschrift der EKHN zum Gegenstand hatte. Der Öffentlichkeitsreferent, Oberkirchenrat B., stellte das Projekt vor:
Die Zeitschrift mit dem Titel „ECHT“ sollte für zunächst drei Jahre viermal jährlich erscheinen. Sie sollte sich „nach Themenwahl, Aufmachung und grafischer Gestaltung an weit verbreiteten Erscheinungsmustern von populären Familienzeitschriften orientieren“. Sie sollte in erster Linie Kontakt zu jenen Kirchenmitgliedern suchen, die zu der Mitte des kirchlichen Lebens in Distanz stehen. Die Verteilung sollte auf professionellem Wege an alle evangelischen Haushalte im Kirchengebiet erfolgen.
In der Aussprache, zu der den Synodalen zwei Null-Nummern vorlagen, wurde das Vorhaben überwiegend befürwortet. Allerdings wurden auch kritische Bedenken geäußert, die dahin gingen, dass bei der Zeitschrift ein eigenes christliches Profil nicht genügend erkennbar werde.
Schließlich wurde unter Annahme eines Abänderungsantrags des Ausschusses für Öffentlichkeitsfragen folgender Beschluss gefasst:
„Der Einführung einer Mitgliederzeitschrift für die EKHN wird zunächst für drei Jahre zugestimmt. Nach Ablauf von zwei Jahren soll während des dritten Jahres der Synode ein Bericht über die Akzeptanz vorgelegt werden.
Die Erscheinungsdauer der neuen Mitgliederzeitschrift ist auf zunächst zehn Ausgaben zu begrenzen.
Unter Beibehaltung des Konzepts einer „human interest“-Zeitschrift für alle Kirchenmitglieder ist der Absender – Evangelische Kirche (in Hessen und Nassau) – in der Themenwahl und in der Gestaltung des Zeitschriftentitels stärker zu profilieren.
Nach zehn Ausgaben ist erneut eine Studie in Auftrag zu geben, die über eine reine Akzeptanzstudie hinausgeht. Sie soll erheben, ob sich die Einstellung gegenüber dem Absender beim Empfänger einer derartigen Publikation verändert. Zur Vorbereitung entsprechender Fragestellungen sollen bereits im kommenden Frühjahr Gespräche mit den Verantwortlichen der „Infratest-Studie“ unter Beteiligung des Soziologen der Kirchenverwaltung, C., und des Ausschusses für Öffentlichkeitsfragen geführt werden.
Das Adressenmaterial des Rechenzentrums ist vor Beginn des Vertriebs der Num-mer 1 so zu überprüfen und zu korrigieren, dass hier nicht hausgemachte Schwundquoten lauern. Den Gemeinden, die bereit sind, die Verteilung selbst zu übernehmen, sollte ein Teil der eingesparten Vertriebskosten als finanzielle Anerkennung zufließen.“
Dieser Beschluss der Kirchensynode wurde im Amtsblatt Nr. 2/1993 vom 22.02.1993 als Beschluss Nr. 31 auf Seite 19 veröffentlicht.
Gegen diesen synodalen Beschluss hat der Beschwerdeführer auf dem Hintergrund vielseitiger Kritik, die nach dem Erscheinen der beiden ersten Nummern der neuen Zeitschrift laut wurde, am 28.09.1993 beim Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN Beschwerde eingelegt. Er hat dies in seiner Eigenschaft als Dekan des Evangelischen Dekanats A. getan und sich dabei auf Art. 6 Abs. 1 KO, Art. 7 Abs. 2 b) KO, § 2 Abs. 2 KGO sowie auf Art. 29 Abs. 2 a) KO berufen, wonach es u. a. Aufgabe des Dekans ist, für die Einhaltung der gesamtkirchlichen Ordnung zu sorgen.
Zur Begründung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, eine durch die Kirchenleitung veranlasste Zusendung einer Mitgliederzeitschrift an die Gemeindemitglieder könne nicht ohne Zustimmung des jeweils zuständigen Kirchenvorstandes erfolgen. Die Mitgliedschaft in der Gesamtkirche werde durch die Gemeindemitgliedschaft vermittelt. Der Kirchenvorstand sei für das gesamte Gemeindeleben verantwortlich. Die ohne seine Zustimmung erfolgende Zusendung einer Mitgliederzeitschrift an die Gemeindemitglieder umgehe die unmittelbare Verantwortung des Kirchenvorstandes, wie sie ihm durch die Kirchenordnung und die Kirchengemeindeordnung auferlegt sei. Der angefochtene Beschluss der Kirchensynode verstoße daher gegen geltendes kirchliches Recht.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss der Kirchensynode vom 30.11.1992 aufzuheben.
Die als Beschwerdegegnerin anzusehende Kirchensynode beantragt in Übereinstimmung mit der beigeladenen Kirchenleitung,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin hält die Beschwerde für unzulässig, da der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Beschluss nicht in seinen rechtlichen Interessen berührt werde.
Darüber hinaus ist sie der Auffassung, dass die Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde keinen Vorrang vor dem Mitgliedschaftsverhältnis zur Gesamtkirche habe. Die EKHN könne sich unbeschadet der Verantwortung des Kirchenvorstandes für das Gemeindeleben unmittelbar an ihre Mitglieder, z. B. – wie hier - durch Übersendung einer Zeitschrift wenden.
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Entscheidungsgründe:

Die Beschwerde konnte keinen Erfolg haben.
Die Beschwerde ist zwar statthaft. Nach § 2 Nr. 3 KVVG entscheidet das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht auf Antrag über Beschwerden gegen synodale Beschlüsse, soweit die Anwendung der Kirchenordnung oder sonstiger kirchlicher Rechtsnormen gerügt wird.
Gemäß § 18 Abs. 3 KVVG müssen jedoch „Anträge nach § 2 Nr. 3“ binnen einer Frist von einem Monat gestellt werden. „Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erlangt hat. Die Anträge sind nur bis zum Ablauf von sechs Monaten seit der Entscheidung zulässig.“
Hiernach ist die am 28. September 1993 eingelegte Beschwerde nicht fristgerecht erhoben. Selbst wenn man für den Beginn der absoluten Frist von sechs Monaten auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beschlusses im Amtsblatt vom 22.02.1993 abstellen wollte, wäre die Frist im August 1993 abgelaufen.
Darüber hinaus ist die Beschwerde gegen den synodalen Beschluss vom 30.11.1992 auch deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer durch den Beschluss nicht in seinen rechtlichen Interessen berührt wird. § 6 Nr. 2 a) KVVG gibt Einzelpersonen, kirchlichen Körperschaften, kirchlichen Organen, Werken und Verbänden für eine Beschwerde gegen einen synodalen Beschluss nur dann eine Antragsberechtigung, wenn „deren rechtliche Interessen berührt sind“.
Das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht hatte sich mit der Frage, wann im Sinne dieser Bestimmung eine Berührung rechtlicher Interessen vorliegt, schon in zahlreichen Entscheidungen zu befassen. In einem Urteil vom 03.12.1968 (Nr. 20 der Entscheidungssammlung) hat es ausgeführt, dass „rechtliche Interessen“ rechtlich geschützte Interessen sind. Das Interesse muss einem schon bestehenden Recht entwachsen. Bei rechtlichen Interessen eines Dritten kommt es nur auf die eigenen Interessen des Dritten an. In seiner Entscheidung vom 11.10.1977 (Nr. 37 der Entscheidungssammlung) hat das Gericht hinzugefügt, dass einem Mitglied der EKHN der Weg zu dem Gericht nicht offen steht, wenn seine eigenen rechtlich geschützten Interessen nicht berührt werden, auch wenn das Kirchenmitglied in dem Kernbereich seines Gewissens, in seinem Verständnis für den rechten Glauben ernsthaft betroffen ist oder wenn eine Entscheidung in ihrer Auswirkung möglicherweise zum Ärgernis für manche Kirchenmitglieder der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau werden mag. Auch in Entscheidungen jüngeren Datums, so in dem Urteil vom 27.06.1986 (Nr. 66 der Entscheidungssammlung) hat das Gericht seine ständige Rechtsprechung zu dieser Problematik bekräftigt.
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer sich als Dekan an das Kirchengericht gewandt, um die Interessen von Kirchengemeinden gegenüber der Kirchensynode, die das maßgebende Organ der geistlichen Leitung und der kirchlichen Ordnung der Gesamtkirche ist (Art. 33 Abs. 1 KO), und gegenüber der Kirchenleitung wahrzunehmen.
Der Beschwerdeführer hat jedoch hier als Dekan und auch als Pfarrer kein Antragsrecht im Sinne des § 6 KVVG. Ein Dekan hat eine Doppelstellung. Er wird von der Dekanatssynode gewählt und ist als Organ des sich selbst verwaltenden Dekanats von diesem zu Diensten gegenüber den Gemeinden seines Bezirks beauftragt (Art. 29 KO). Außerdem hat er eine gesamtkirchliche Funktion; er ist Beauftragter der Kirchenleitung im Dekanat (Art. 30 KO).
Zu den Aufgaben des Dekans, zu denen er vom Dekanat beauftragt ist, gehört nach Art. 29 Abs. 2 a) KO die Sorge für die Einhaltung der gesamtkirchlichen Ordnung. Diese Aufgabe hat er nicht gegenüber der Gesamtkirche, sondern gegenüber den Gemeinden seines Dekanats zu erfüllen, was sich schon aus dem Wortlaut des § 29 Abs. 2 a) KO ergibt, wonach diese Sorgepflicht „auch im Blick auf die in den Gemeinden bestehenden bekenntnismäßigen oder gottesdienstlichen Ordnungen“ besteht.
Der Dekan hat jedoch nicht Kirchengemeinden gegenüber der Gesamtkirche durch Anrufen des Kirchengerichts in Schutz zu nehmen. Das gehört nicht zu seinem sich aus seiner Rechtsstellung ergebenden Aufgabenbereich. Eine derartige Aufgabe kann es für ihn schon deshalb nicht geben, weil ein Dekan damit einer durch seine Doppelstellung hervorgerufenen Pflichtenkollision ausgesetzt wäre. Für eine solche Aufgabe eines Dekans besteht auch kein Bedürfnis, weil ein Kirchenvorstand, der sich oder seine Gemeinde durch Maßnahmen der Gesamtkirche beeinträchtigt sieht, als kirchliches Organ seine rechtlichen Interessen selbst wahrnehmen kann.
Auch aus der Stellung des Beschwerdeführers als Gemeindepfarrer ergibt sich kein anderes Ergebnis. Auch insoweit kann er nicht anstelle des Kirchenvorstandes dessen Interessen wahrnehmen. Da sich somit die Beschwerde gegen den Beschluss der Kirchensynode vom 30.11.1992 „im Vorfeld“ als unzulässig erweist, hatte das Kirchengericht zu der sachlich-rechtlichen Frage, ob die Zeitschrift ECHT von der Kirchenleitung der EKHN unmittelbar an die Gemeindemitglieder des Kirchengebiets ohne Zustimmung des Kirchenvorstandes der jeweiligen Gemeinde verteilt werden kann, keine Stellung zu nehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 36 und 38 KVVG i. V. m. § 154 I VwGO.