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Kirchengesetz zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung in Fällen sexualisierter Gewalt
(Gewaltpräventionsgesetz – GPrävG)

Vom 27. November 2020

(ABl. 2020 S. 422)

Die Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat das folgende Kirchengesetz beschlossen:
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Präambel

Der Schutz von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen vor sexualisierter Gewalt ist Aufgabe und Pflicht aller, die innerhalb der EKHN Verantwortung im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen tragen. Prävention sexualisierter Gewalt umfasst die Sensibilisierung und Qualifizierung aller haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden und Leitungsverantwortlichen auf allen Ebenen kirchlichen Lebens, um Grenzverletzungen zu verhindern. Intervention ahndet Verstöße gegen diese Grundhaltung und erkennt damit auch das Unrecht an. Aufarbeitung ermöglicht die Identifikation begünstigender Strukturen und die Ableitung und Umsetzung geeigneter präventiver Maßnahmen. Prävention, Intervention und Aufarbeitung dienen so einer ständigen Verbesserung der Qualität des Schutzes und fördern eine Kultur des achtsamen, respektvollen Miteinanders.
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Abschnitt 1
Grundsätzliches

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§ 1
Geltungsbereich

( 1 ) Dieses Kirchengesetz gilt für die EKHN, ihre Kirchengemeinden, Dekanate und Kirchlichen Verbände sowie sonstige kirchlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen im Aufsichtsbereich der EKHN und deren Einrichtungen. Es gilt ferner für alle rechtlich selbstständigen Einrichtungen, die der EKHN zugeordnet sind.
( 2 ) Die Diakonie Hessen stellt durch eigene Grundsätze und Richtlinien den Schutz von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen in ihrem Zuständigkeitsbereich sicher, soweit dies nicht bereits durch staatliche oder sonstige Regelungen gewährleistet ist.
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§ 2
Begriffsbestimmung

( 1 ) Sexualisierte Gewalt umfasst sexuelle Übergriffe, wie verbale Belästigung oder Berührungen bis zu unter Strafe gestellte Verhaltensweisen. Der Täter oder die Täterin nutzt dabei eine Macht- oder Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten des Gegenübers zu befriedigen. Sexualisierte Gewalt umfasst jede Handlung, die an oder vor Minderjährigen vorgenommen wird; gleiches gilt für Handlungen an oder vor erwachsenen Schutzbefohlenen, die gegen ihren Willen vorgenommen werden oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger, sprachlicher oder struktureller Unterlegenheit nicht zustimmen können.
( 2 ) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind alle ehrenamtlich tätigen oder in einem kirchlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis stehenden Personen sowie die im Rahmen eines gesetzlichen Freiwilligendienstes, einer Arbeitsgelegenheit oder im Rahmen einer Ausbildung, einer gerichtlichen Auflage oder eines Praktikums Beschäftigten der kirchlichen Träger nach Absatz 3.
( 3 ) Kirchliche Träger sind alle in § 1 Absatz 1 genannten Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und sonstige Einrichtungen. Sie führen entsprechend des eigenen Auftrags und nach eigenem Selbstverständnis Maßnahmen durch, unterhalten Einrichtungen, machen andere Angebote für Dritte oder erbringen Leistungen der Kinder-, Jugend-, Alten- oder Behindertenhilfe, in dem sie Sach- und Personalmittel zur Verfügung stellen.
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§ 3
Grundsätze

( 1 ) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen sowie untereinander zu einer respektvollen, wertschätzenden Kultur verpflichtet.
( 2 ) Die Arbeit von und mit Kindern und Jugendlichen oder für Kinder und Jugendliche umfasst die Beaufsichtigung, Betreuung, Ausbildung, Erziehung oder einen vergleichbaren Kontakt mit Kindern und Jugendlichen (§ 30a Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a BZRG). Tätigkeiten im kinder- und jugendnahen Bereich (§ 30a Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b BZRG) sind dadurch gekennzeichnet, dass Personen aufgrund ihrer Tätigkeit regelmäßig mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt kommen und dabei auch selbstständig außerhalb einer ständigen Anleitung und Aufsicht arbeiten (Anlage 1). Erfasst sind über die Kinder- und Jugendhilfe hinaus alle Bereiche, in denen Kinder und Jugendliche im kirchlichen Raum erreicht werden.
( 3 ) Seelsorge- und Vertrauensbeziehungen, die sich aus der Wahrnehmung der Aufgaben von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergeben, dürfen nicht zur Befriedigung eigener Interessen und Bedürfnisse, für sexuelle Kontakte oder andere grenzüberschreitende Verhaltensweisen missbraucht werden (Abstinenzgebot). Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben eine professionelle Balance von Nähe und Distanz zu wahren (Abstandsgebot). Ein Verstoß gegen das Abstinenz- oder Abstandsgebot stellt eine Pflichtverletzung dar.
( 4 ) Kirchliche Träger sind verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie diejenigen, die kirchliche Angebote wahrnehmen, insbesondere anvertraute Kinder und Jugendliche, vor allen Formen sexueller Grenzüberschreitungen und sexuellen Missbrauchs (sexualisierte Gewalt) auch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit zu schützen. Die Vorschriften des staatlichen Rechts bleiben unberührt.
( 5 ) Kirchliche Träger tragen Verantwortung dafür, dass in der Arbeit von und mit Kindern und Jugendlichen oder für Kinder und Jugendliche nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt werden, die über die erforderliche fachliche und persönliche Eignung verfügen.
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Abschnitt 2
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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§ 4
Im Beschäftigungsverhältnis stehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

( 1 ) Die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses in der Arbeit für Kinder und Jugendliche oder mit Kindern oder Jugendlichen oder im kinder- und jugendnahen Bereich setzt die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nach § 30a BZRG voraus. Die Kosten des erweiterten Führungszeugnisses trägt die Bewerberin oder der Bewerber.
( 2 ) Im bestehenden Beschäftigungsverhältnis kann der kirchliche Träger von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Arbeit für Kinder und Jugendliche oder mit Kindern und Jugendlichen und im kinder- und jugendnahen Bereich ein erweitertes Führungszeugnis nach § 30a BZRG verlangen, insbesondere wenn dieses bei Anstellung noch nicht vorzulegen war. Die regelmäßige Wiederholung ist zulässig.
( 3 ) Das erweiterte Führungszeugnis nach § 30a BZRG darf keine Eintragung wegen einer Straftat im Sinne von § 72a Absatz 1 SGB VIII (Straftaten, die das Kindeswohl gefährden oder sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung richten) enthalten. Eine einschlägige Eintragung steht einer Tätigkeit in der Arbeit von und mit Kindern und Jugendlichen oder für Kinder und Jugendliche und im kinder- und jugendnahen Bereich entgegen. Das erweiterte Führungszeugnis ist in einem verschlossenen Umschlag zur Personalakte zu nehmen.
( 4 ) Die Beschäftigten in der Arbeit mit und von Kindern und Jugendlichen oder für Kinder und Jugendliche und im kinder- und jugendnahen Bereich sind in geeigneter Form auf ihre Verantwortung für die Wahrung des Kindeswohls hinzuweisen. Dies gilt bereits im Vorfeld der Personalentscheidung. Dazu soll der kirchliche Träger den Nachweis einer Schulung, die der Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen dient, und die Abgabe einer schriftlichen Erklärung (Selbstverpflichtung nach Anlage 2) verlangen.
( 5 ) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Beschäftigung im Rahmen eines gesetzlichen Freiwilligendienstes (z. B. Freiwilliges Soziales Jahr/Bundesfreiwilligendienst) oder einer Arbeitsgelegenheit nach dem SGB II („Ein-Euro-Job“), einer gerichtlichen Auflage oder eines Ausbildungs- oder Praktikantenverhältnisses.
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§ 5
Pfarrerinnen und Pfarrer

( 1 ) Vor der Aufnahme in die Ausbildung für den pfarramtlichen Dienst (praktischer Vorbereitungsdienst) und vor der Berufung in das Pfarrdienstverhältnis auf Probe ist stets ein erweitertes Führungszeugnis nach § 30a BZRG vorzulegen. Die Kosten des erweiterten Führungszeugnisses trägt die Bewerberin oder der Bewerber.
( 2 ) Pfarrerinnen und Pfarrer in der Arbeit für Kinder und Jugendliche oder mit Kindern und Jugendlichen und im kinder- und jugendnahen Bereich sind in geeigneter Form auf ihre Verantwortung für die Wahrung des Kindeswohls hinzuweisen. Dazu soll der kirchliche Träger den Nachweis einer Schulung, die der Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen dient, und die Abgabe einer schriftlichen Erklärung (Selbstverpflichtung nach Anlage 2) verlangen.
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§ 6
Ehrenamtliche

( 1 ) Ehrenamtliche und Nebenamtliche im Sinne des § 72a SGB VIII in der Arbeit für Kinder und Jugendliche oder mit Kindern und Jugendlichen und im kinder- und jugendnahen Bereich sind in geeigneter Form auf ihre Verantwortung für die Wahrung des Kindeswohls hinzuweisen. Dazu soll der kirchliche Träger den Nachweis einer Schulung, die der Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen dient, und die Abgabe einer schriftlichen Erklärung (Selbstverpflichtung nach Anlage 2) verlangen. Darüber hinaus kann die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nach § 30a BZRG verlangt werden, wenn das Gefährdungspotential (Anlage 1) dies nahelegt.
( 2 ) Das erweiterte Führungszeugnis nach § 30a BZRG darf keine Eintragung wegen einer Straftat im Sinne von § 72a Absatz 1 SGB VIII (Straftaten, die das Kindeswohl gefährden oder sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung richten), enthalten. Eine einschlägige Eintragung steht einer Tätigkeit in der Arbeit für und mit Kindern und Jugendlichen und im kinder- und jugendnahen Bereich entgegen. Das Führungszeugnis ist nach Einsichtnahme durch den kirchlichen Träger zu vernichten oder der vorlagepflichtigen Person zurückzugeben; Kopien dürfen nicht angefertigt werden. Die Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses und die Feststellung nach Satz 1 sind aktenkundig zu machen.
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§ 7
Bescheinigung und Kosten

Die Notwendigkeit der Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses ist schriftlich zu bescheinigen. Dabei ist zu bestätigen, dass die Voraussetzungen zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nach § 30a BZRG vorliegen. Soweit keine andere Regelung getroffen ist oder die Gebührenbefreiung nach § 12 JVKostO nicht greift, trägt der Anstellungsträger oder der kirchliche Träger die Kosten des erweiterten Führungszeugnisses.
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§ 8
Aufbewahrung und Datenschutz

Das erweiterte Führungszeugnis ist im Fall der §§ 4 und 5 fünf Jahre aufzubewahren. Ist erneut ein Führungszeugnis vorzulegen, ersetzt dieses das vorherige. Das Führungszeugnis und die nach § 72a Absatz 5 SGB VIII erhobenen Daten sind vor dem Zugriff Dritter zu schützen und nach den Vorgaben des § 72a SGB VIII zu löschen.
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Abschnitt 3
Maßnahmen

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§ 9
Präventionsmaßnahmen

( 1 ) Kirchliche Träger haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Arbeit von und mit Kindern und Jugendlichen und für Kinder und Jugendliche und im kinder- und jugendnahen Bereich tätig sind, aufzufordern, sich mit den Inhalten einer Selbstverpflichtung (Muster in der Anlage 2) auseinanderzusetzen. Der Text der Selbstverpflichtung, die sie eingehen, wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch die kirchlichen Träger ausgehändigt. Die kirchlichen Träger sind verpflichtet, regelmäßig Schulungen zum Inhalt der Selbstverpflichtung anzubieten. Die Teilnahme ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bestätigen und aktenkundig zu machen. Die Selbstverpflichtungserklärung umfasst die Erklärung, dass weder eine Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne von § 72a SGB VIII vorliegt noch ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Außerdem ist die Verpflichtung enthalten, bei Einleitung von Ermittlungen unverzüglich den kirchlichen Träger davon zu informieren und in einem solchen Fall die Tätigkeit bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen zu lassen.
( 2 ) Kirchliche Träger sollen durch klare und transparente Verhaltensregeln für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Nah- und Abhängigkeitsbereichen zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen einen Verhaltenskodex aufstellen, der ein fachlich adäquates Nähe-Distanz-Verhältnis, einen respektvollen Umgang und eine offene Kommunikationskultur sicherstellt. Bei der Entwicklung des Verhaltenskodex sollen Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene angemessen beteiligt werden. Der Verhaltenskodex ist in angemessener Weise zu veröffentlichen.
( 3 ) Die Dekanate unterstützen die Kirchengemeinden und die anderen kirchlichen Träger im Dekanat in ihrer Präventionsarbeit. Zu diesem Zweck bestellen die Dekanate je für sich oder mit mehreren gemeinsam eine regionale Präventionsbeauftragte oder einen regionalen Präventionsbeauftragten mit entsprechender fachlicher Qualifikation, in der Regel die Dekanatsjugendreferentin oder den Dekanatsjugendreferenten. Diese haben insbesondere die Aufgabe, kirchliche Träger in Fragen der Erstellung und Weiterentwicklung von Schutzkonzepten, der Qualifizierung, im Krisenfall und in der Abklärung von Unsicherheiten im Zusammenhang mit möglichen Kindeswohlgefährdungen zu unterstützen.
( 4 ) Auf der Grundlage der verbindlichen Bausteine für ein einrichtungsspezifisches Schutzkonzept (Anlage 3) soll jeder kirchliche Träger mit Unterstützung der Präventionsbeauftragten eine Potential- und Risikoanalyse durchführen und ein Schutzkonzept einschließlich Kriseninterventionsplan entwickeln. Die Umsetzung ist der Gesamtkirche nachzuweisen. Die Schutzkonzepte sollen die Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe, der Kindertagesstätten, des Konfirmandenunterrichts, der kinderkirchenmusikalischen und Kindergottesdienstarbeit und die selbstorganisierte Arbeit mit und von Kindern und Jugendlichen umfassen. In Hessen bedürfen Vereinbarungen gemäß § 72a Absatz 4 SGB VIII der Genehmigung durch die Gesamtkirche, in Rheinland-Pfalz treten kirchliche Träger der Rahmenvereinbarung nach § 72a SGB VIII des Landes vom 23. Januar 2014 bei.
( 5 ) Kirchliche Träger haben transparente Beschwerdemöglichkeiten vorzusehen.
( 6 ) Kirchliche Träger kooperieren bei Bedarf mit der Zentralen Anlaufstelle.help.
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§ 10
Meldepflicht, Interventionsmaßnahmen

( 1 ) Jede Mitarbeiterin oder jeder Mitarbeiter, der oder dem zureichende Anhaltspunkte für Vorfälle sexualisierter Gewalt im kirchlichen Bereich zur Kenntnis gelangen, ist verpflichtet, dies unverzüglich der Kirchenverwaltung zu melden (Meldepflicht). Er oder sie wird hierzu arbeitsvertraglich oder durch entsprechende sonstige Regelung verpflichtet.
( 2 ) Kirchliche Träger sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Meldungen über Fälle sexualisierter Gewalt bearbeitet und die notwendigen Maßnahmen veranlasst werden, um die Gewalt zu beenden, die betroffenen Personen zu schützen und weitere Vorfälle zu verhindern (Intervention).
( 3 ) Arbeits- und dienstrechtliche Pflichten, insbesondere zum Schutz des Beichtgeheimnisses und der seelsorgerlichen Schweigepflicht sowie Mitteilungspflichten und erforderliche Maßnahmen im Fall des Verdachts einer Verletzung von Pflichten aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis bleiben unberührt.
( 4 ) Kirchliche Träger und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Anspruch auf gesamtkirchliche Beratung zur Abklärung von Verdachtsfällen.
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§ 11
Institutionelle Maßnahmen

( 1 ) Die Gesamtkirche unterstützt die regionalen Präventionsbeauftragten in ihrer Präventionsarbeit und in Schulungen in Präventions- und Interventionsfragen gegen sexualisierte Gewalt.
( 2 ) Die Gesamtkirche entwickelt Standards für die Präventionsarbeit sowie für den Umgang mit Vorfällen sexualisierter Gewalt. Sie unterstützt die kirchlichen Träger, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen zu ergreifen. Arbeits- und dienstrechtliche Maßnahmen und Zuständigkeiten bleiben davon unberührt.
( 3 ) Die Gesamtkirche erarbeitet Informationsmaterial, entwickelt Konzepte für die Aus-, Fort- und Weiterbildung zur Prävention. Schulungsinhalte sind insbesondere Fragen von Täterstrategien, Psychodynamiken Betroffener, begünstigende institutionelle Strukturen, Überblick über einschlägige Straftatbestände und weitere Regelungen, die eigene emotionale und soziale Kompetenz, konstruktive Kommunikations- und Konfliktfähigkeit und den Umgang mit Nähe und Distanz. Sie koordiniert Schulungen zur Prävention und unterstützt bei der Sicherung von Intervention und Aufarbeitung durch die Vernetzung mit regionalen Kooperationspartnern.
( 4 ) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen im Rahmen ihrer Ausbildung sowie in ihrer Tätigkeit in geeigneter Form mit grenzachtender Kommunikation und der Prävention zum Schutz vor sexualisierter Gewalt vertraut gemacht werden. Die kirchlichen Träger stellen sicher, dass die Inhalte nach Satz 1 zu den Grundlagen der Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören.
( 5 ) Einrichtungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung in kirchlicher Trägerschaft sollen in geeigneter Weise für die Problematik sexualisierter Gewalt sensibilisieren und die Prävention zum Schutz vor sexualisierter Gewalt zum Inhalt ihrer Angebote machen. Dazu gehören insbesondere Informationen über interne und externe Beratungsstellen, Verfahrenswege bei Anzeichen sexualisierter Gewalt und Hilfen für von sexualisierter Gewalt Betroffener sowie Angebote für die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie werden dabei durch die Gesamtkirche unterstützt.
( 6 ) Die Gesamtkirche bietet Betroffenen von sexualisierter Gewalt durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Anerkennung ihres Leids und in Verantwortung für die Verfehlung der Institutionen Hilfe und Unterstützung an.
( 7 ) Erfüllt ein Träger nach § 1 seine Aufgaben aus diesem Kirchengesetz nicht, kann die Kirchenleitung nach Anhörung und Fristsetzung die erforderlichen Maßnahmen oder Beschlüsse an dessen Stelle ergreifen oder fassen.
( 8 ) Alle Personen, die Aufgaben nach diesem Kirchengesetz wahrnehmen oder wahrgenommen haben, sind verpflichtet, über die ihnen dabei bekanntgewordenen Tatsachen Stillschweigen zu bewahren. § 10 und Aussagepflichten nach dem allgemeinen Recht bleiben unberührt.
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Abschnitt 4
Schlussbestimmungen

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§ 12
Übergangsregelung

Bestehende Schutzkonzepte bleiben in Kraft. Sie sind zu überprüfen und gegebenenfalls an dieses Kirchengesetz anzupassen. Dies gilt entsprechend für bereits erfolgte Beauftragungen.
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§ 13
Änderung der Anlagen

Die Anlagen zu diesem Kirchengesetz können von der Kirchenleitung durch Rechtsverordnung geändert werden.
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§ 14
Inkrafttreten, Außerkrafttreten

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Anlage 1
Gefährdungspotential

Gefährdungspotenzial nach Art, Intensität und Dauer
niedrig
hoch
Art
Kein Missbrauch eines besonderen Vertrauensverhältnisses möglich
Missbrauch eines besonderen Vertrauensverhältnisses möglich
Kein Hierarchie-/Machtverhältnis
Bestehen eines Hierarchie-/Machtverhältnisses
Keine Altersdifferenz
Signifikante Altersdifferenz
Merkmal der Kinder/Jugendlichen, zu denen Kontakt besteht: höheres Alter, keine Behinderung, kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis
Merkmal der Kinder/Jugendlichen, zu denen Kontakt besteht: junges Alter, Behinderung, besonderes Abhängigkeitsverhältnis
Intensität
Tätigkeit wird gemeinsam mit anderen wahrgenommen
Tätigkeit wird allein wahrgenommen
Sozial offener Kontext hinsichtlich
  • Räumlichkeit oder
  • Struktureller Zusammensetzung/
    Stabilität der Gruppe
Sozial geschlossener Kontext hinsichtlich
  • Räumlichkeit oder
  • Struktureller Zusammensetzung/
    Stabilität der Gruppe
Tätigkeit mit Gruppen
Tätigkeit mit einzelnem Kind oder Jugendlichen
Geringer Grad an Intimität/kein Wirken in Privatsphäre des Kindes/Jugendlichen
(z. B. Körperkontakt)
Hoher Grad an Intimität/Wirken in Privatsphäre des Kindes/Jugendlichen
(z. B. Körperkontakt)
Dauer
Einmalig/punktuell/gelegentlich
Von gewisser Dauer/Regelmäßigkeit/umfassende Zeitspanne
Regelmäßige wechselnde Kinder/Jugendliche
Dieselben Kinder/Jugendlichen für gewisse Dauer
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Anlage 2
Selbstverpflichtungserklärung und Verhaltenskodex - Muster

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Selbstverpflichtungserklärung

Ich habe mich mit dem Verhaltenskodex zur Verhinderung von Gewalt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auseinander gesetzt und werde mich daran halten.
Bei Hinweisen auf schwerwiegende Probleme und dem Verdacht, dass das Wohl eines Kindes bzw. Jugendlichen gefährdet ist, informiere ich die verantwortliche Leitung der Arbeit mit und von Kindern und Jugendlichen bzw. für Kinder und Jugendliche (z. B. den oder die Hauptberuflichen oder die Teamleitung) oder eine anderweitige Vertrauensperson.
Ich versichere, dass ich keine der in § 72a SGB VIII bezeichnete Straftat begangen habe. Weiter versichere ich, dass ich weder wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden bin, noch dass derzeit ein gerichtliches Verfahren, noch ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen einer solchen Straftat gegen mich anhängig ist. Die Zusammenstellung der Straftaten wird mir ausgehändigt.
Sollte ein Verfahren gegen mich eingeleitet werden, werde ich den Träger umgehend informieren. Ich werde in einem solchen Fall meine ehrenamtliche bzw. hauptamtliche Tätigkeit bis zur Klärung der Vorwürfe gegen mich ruhen lassen.
Name: __________________________ Vorname: __________________________
Geb. am: ________________________
Ort, Datum: ______________________ Unterschrift: ________________________
Verhaltenskodex zur Verhinderung von Gewalt
für alle ehrenamtlich tätigen, hauptberuflich und hauptamtlich beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.
Evangelische Kinder- und Jugendarbeit lebt durch die Beziehungen der Menschen miteinander und mit Gott. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entsteht eine persönliche Nähe und Gemeinschaft, in der die Lebensfreude bestimmend ist und die von Vertrauen getragen wird. Dieses Vertrauen darf nicht zum Schaden von Kindern und Jugendlichen ausgenutzt werden.
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau tritt entschieden dafür ein, Mädchen und Jungen vor Gefahren jeder Art zu schützen. Sie duldet keine körperliche, seelische oder psychische Gewalt. Sie wird alles ihr Mögliches tun, einen Zugriff von Tätern und Täterinnen auf Kinder und Jugendliche auszuschließen.
Eine klare Positionierung zum Kinder- und Jugendschutz, ein Klima der offenen und sensiblen Auseinandersetzung mit dem Thema sowie Transparenz und Sensibilisierung tragen maßgeblich zur Qualität unserer Jugendarbeit bei. Kindern und Jugendlichen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kinder- und Jugendarbeit erlaubt dies, sich wohl und sicher zu fühlen. Er gilt für die kirchlich getragene und verantwortete Arbeit von und mit Kindern und Jugendlichen in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau auf allen Ebenen.
1. Die Persönlichkeit und Würde von Kindern und Jugendlichen ist unantastbar
Wir beziehen gegen sexistisches, rassistisches, diskriminierendes und gewalttätiges Verhalten jeder Art aktiv Stellung. Wir verpflichten uns, Kinder und Jugendliche unabhängig ihres Alters und Geschlechtes, ihrer Herkunft und Religion wertzuschätzen, sie zu begleiten und zu beraten, die von ihnen gesetzten Grenzen zu achten und zu respektieren.
2. Kinder und Jugendliche benötigen einen Entwicklungsraum, um sich frei zu entfalten
Wir bieten Kindern und Jugendlichen in unseren Angeboten den Raum, Selbstbewusstsein, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und eine geschlechterbewusste Identität zu entwickeln.
3. Gewalt und sexualisierte Gewalt dürfen kein Tabuthema sein
Wir tolerieren keine Form der Gewalt, benennen sie offen und handeln zum Besten der Kinder und Jugendlichen. Wir beziehen in der öffentlichen Diskussion klar Stellung.
4. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen braucht aufmerksame und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Wir alle tragen Verantwortung für Kinder und Jugendliche. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, entwickeln wir Konzepte, damit in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen keine Grenzverletzungen und keine sexualisierte Gewalt möglich werden. Hierfür behandeln wir diese Themen in unserer Ausbildung regelmäßig.
5. Kinder und Jugendliche müssen vor Schaden geschützt werden
Wir schützen die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen vor körperlichem und seelischem Schaden, vor Missbrauch und Gewalt.
6. Grenzverletzungen wird konsequent nachgegangen
Der Schutz der Kinder und Jugendlichen steht dabei an erster Stelle. Im Konfliktfall informieren wir die Verantwortlichen auf der Leitungsebene und ziehen professionelle Unterstützung und Hilfe hinzu. Die Vorgehensweisen und möglichen Ansprechpartner sind uns bekannt.
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Anlage 3: Schutzkonzept-Bausteine

Anforderungen an ein Schutzkonzept
Potential- und Risikoanalyse
Leitbild macht Aussagen zu
  • Verantwortung für den Schutz aller Kinder
  • Besonderer Wert der Sicherheit in der Einrichtung
  • Selbstbestimmung und Schutzrechte / Kinderrechte
  • Würde des Menschen
  • Grundsätze und Wertvorstellungen (Kultur der Achtsamkeit und des Respekts, grenzachtende Kommunikation und Fehlerfreundlichkeit)
Baustein: Personalverantwortung
  • Personalauswahl
  • Klarheit über Verantwortung verschaffen
  • Einstellungsgespräch
  • Ehrenamtliche
  • Führungszeugnis
  • Selbstverpflichtungserklärung
Baustein: Verhaltenskodex
  • Gestalten von Nähe und Distanz (besonders in sensiblen Situationen)
  • Beachtung der Intimsphäre
  • Angemessenheit von Körperkontakt
  • Sprache, Wortwahl, Kleidung
  • Umgang mit + Nutzung von Medien und sozialen Netzwerken
  • Umgang mit Grenzen und Konsequenzen bei Grenzüberschreitung
  • Geschenke und Vergünstigungen
Baustein: Schulungen / Fortbildungen
  • regelmäßige (Team-)Schulungen
  • Einarbeitung von neue Mitarbeitenden
Baustein: Beschwerdemanagement
  • Für Kinder
  • Für Eltern
  • Für Mitarbeitende
  • Dokumentation
Baustein: Partizipation
  • Von Kindern
  • Von Eltern
  • Von Mitarbeitenden
  • Demokratieerziehung
  • (Kinder-)Rechte
Baustein: Pädagogische Prävention
  • Sexualpädagogisches Konzept (was ist altersangemessenes Verhalten - was sind grenzüberschreitende Handlungen)
  • sexuelle Vielfalt
  • Präventionsangebote für Kinder
  • Präventionsangebote für Eltern
Baustein: Notfallmanagement
  • Kriseninterventionsplan / Kriseninterventionsteam
  • Vereinbarung mit dem Kreis/Jugendamt
  • Meldepflichten § 8a + § 47 SGB VIII
  • Datenschutz
  • Ablaufplan: Gefährdung im persönlichen Umfeld des Kindes
  • Ablaufplan: Grenzverletzungen zwischen Kindern
  • Ablaufplan: Grenzüberschreitung von Mitarbeitenden
  • Ablaufplan: wenn Kinder verschwunden sind
  • Öffentlichkeit / Umgang mit Presse
  • Dokumentationsvorlagen
  • Stellungnahme
  • Elternbegleitung
  • Rehabilitation
  • Reflexionsmöglichkeiten
Baustein: Netzwerke / Kooperationspartner
  • Kooperationspartner
  • Unterstützungssysteme
  • Beratungsstellen
Regelmäßige Überprüfung und Anpassung