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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:05.05.2023
Aktenzeichen:KVVG II 1/23 - 2
Rechtsgrundlage:§§ 3 Abs. 1 und 2 KVVG-EKHN; §35 VwVfG; §§ 42, 123 VwGO; §§ 20 S. 2, 86, 87 Abs. 1 und 2 KBG.EKD; § 15 KBGAG-EKHN; § 2 Abs. 5 KVG-EKHN; § 30 Abs. 1 und 2 VVZG.EKD
Vorinstanzen:
Schlagworte:Anfechtungsklage, Aufschiebende Wirkung, Außenwirkung, Beschwerde, Einstweilige Anordnung, Kirchlicher Verwaltungsakt, Leistungsklage, Rechtsbehelfsbelehrung, Rechtschutzinteresse, Untersuchungsanordnung
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Leitsatz:

  1. Zum KVVG sind sowohl eine einstweilige Anordnung entsprechend § 123 VwGO (Anschluss an KVVG vom 14. April 1986 – II 6/86 –) als auch eine allgemeine Leis-tungsklage statthaft (Anschluss an KVVG Urteile vom 13. Dezember 2010 – II 5+6/10 – und vom 20. Oktober 1983 – II 2/82 –).
  2. Sie kommen namentlich in Betracht, um die Unterlassung der Durchführung einer Untersuchungsanordnung des Dienstherrn nach § 69 Abs. 3 KBG.KD zu erreichen. Denn einer solchen Anordnung fehlt die Außenwirkung; sie ist daher kein Verwaltungsakt (Anschluss an Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Urteil vom 11. Oktober 2013 – VG 02/13 – zu § 91 Abs. 3 PfDG.EKD).
  3. Eine im Bereich der EKHN nach § 87 Abs. 2 KBG.EKD iVm. § 15 KBGAG-EKHN mögliche und notwendige Beschwerde des von der Anordnung betroffenen Kirchenbeamten hat nach § 2 Abs. 5 Satz 2 KVG-EKHN aufschiebende Wirkung, so dass für die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes das Rechtschutzinteresse entfällt.
  4. Wegen der Fristgebundenheit des Beschwerderechts bedarf die Untersuchungsanordnung einer Rechtsbehelfsbelehrung, um den Lauf der Beschwerdefrist auszulösen. Anderenfalls findet die Jahresfrist des § 30 Abs. 2 VVZG.EKD Anwendung.

Tenor:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.
  2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits hat der Antragsteller zu tragen.
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Gründe:

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I.

Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz in Bezug auf eine ihm gegenüber ergangene Anordnung des Antragsgegners, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zur Überprüfung seiner Dienstfähigkeit zu unterziehen.
Der Antragsteller ist Kirchenoberamtsrat, der Antragsgegner ist sein Dienstherr.
Mit Schreiben vom 10. November 2022 forderte der Antragsgegner den Antragsteller „… aufgrund Ihrer erheblichen Fehlzeiten seit dem Jahr 2019 und dem nicht wahrgenommenen Wiedereingliederungsangebot im Oktober 2022 …“ und einhergehender „… begründeter Zweifel an Ihrer Beamtendienstfähigkeit …“ auf, sich einer beim Gesundheitsamt der Stadt A – Amtsärztlicher Dienst – in Auftrag gegebenen amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Der Antragsgegner wurde darauf hingewiesen, dass er dieser Anordnung Folge zu leisten habe und bei einer Nichtbeachtung trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung die Dienstunfähigkeit unterstellt werden könne. Beigefügt war die Abschrift eines taggleich gefertigten Untersuchungsauftrages an das benannte Gesundheitsamt, welcher sowohl eine Beschreibung der vom Antragsteller zu erbringenden dienstlichen Tätigkeiten als auch detaillierte Angaben zu zurückliegenden Fehlzeiten des Antragstellers aufwies. Eine Belehrung über einen statthaften Rechtsbehelf und über eine für diesen einzuhaltende Frist enthielt die Anordnung nicht.
Mit Schreiben vom 15. November 2022 wandte sich der Antragsteller an den Antragsgegner und zeigte an, der Anordnung folgen zu wollen. Zugleich wies er auf eine beigefügte Gegendarstellung hin, in der er abermals ankündigte, der Anordnung folgen zu wollen, und die er bat, zu seiner Personalakte zu nehmen. Mit Schreiben vom 23. November 2022 antwortete der Antragsgegner dem Antragsteller.
Ebenfalls mit Schreiben vom 23. November 2022 konkretisierte der Antragsgegner gegenüber dem Gesundheitsamt der Stadt A den Untersuchungsauftrag im Hinblick auf das für den Antragsteller gültige Stellenprofil. Bereits mit Schreiben vom 10. November 2022 hatte das Gesundheitsamt einen Untersuchungstermin auf den 29. November 2022 bestimmt.
Zunächst suchte der Antragsteller um Eilrechtsschutz beim Verwaltungsgericht A nach; dieses erließ am 28. November 2022 einen „Hängebeschluss“, wonach dem Antragsgegner aufgegeben wurde, die angesetzte amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers vorläufig auszusetzen. Nach Zustellung der Antragsschrift an den Antragsgegner nahm der Antragsteller seinen dortigen Antrag am 10. Januar 2023 zurück.
Ebenfalls am 10. Januar 2022 beantragte der Antragsteller beim Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht die Gewährung von Eilrechtsschutz in Bezug auf die Anordnung vom 10. November 2022.
Der Antragsteller ist der Ansicht, die Untersuchungsanordnung sei rechtswidrig, weswegen er nicht gehalten sei, ihr Folge zu leisten. Insofern sei ihm vorbeugender Rechtsschutz zu gewähren, zumal ein gegenüber einer späteren Ruhestandsversetzung gegebener, nachträglicher Rechtsschutz nur ineffektiv wirke.
Der Antragsteller beantragt,
dem Antragsgegner zu untersagen, die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit des Antragstellers mit Verfügung vom 10. November 2022 zu vollziehen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner erachtet die Untersuchungsanordnung jedenfalls für rechtmäßig und daher den Antrag für unbegründet.
Eine Abschrift der Behördenakte des Antragsgegners hat vorgelegen.
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II.

Der Antrag ist statthaft (1.), mangels Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers aber unzulässig (2.).
1.
a) Die Möglichkeit, eine Einstweilige Anordnung entsprechend § 123 VwGO erlassen zu können, ist in der Rechtsprechung des KVVG grundsätzlich anerkannt. Das Kirchengesetz über das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht (KVVG-EKHN) führt vorläufige Maßnahmen zwar nur im Rahmen einer Anfechtungsklage an (vgl. § 20 KVVG-EKHN). Weil § 38 KVVG-EKHN aber die Vorschriften der VwGO für anwendbar erklärt, soweit grundsätzliche Unterschiede der Verfahrensarten dies nicht ausschließen, kommt auch die Einstweilige Anordnung entsprechend § 123 VwGO vor Erhebung einer Klage im Hauptsacheverfahren in Betracht (vgl. KVVG, Beschluss der 2. Kammer vom 14. April 1986 – II 6/86 –, Amtl. Sammlung Nr. 61).
b) Der Kläger müsste gegenüber der Untersuchungsanordnung – nach Durchlaufen eines nötigen Vorverfahrens – in der Hauptsache eine Leistungsklage erheben. Denn die Anordnung stellt keinen Verwaltungsakt dar. Hierzu korrespondiert für den Einstweiligen Rechtschutz das Verfahren nach § 123 VwGO.
aa) Die allgemeine Leistungsklage ist in der Rechtsprechung des KVVG als mögliche Klageart anerkannt (vgl. KVVG, Urteile der 2. Kammer vom 13. Dezember 2010 – II 5+6/10 – Nr. 148 der Entscheidungssammlung und 20. Oktober 1983 – II 2/82 – Nr. 44 der Entscheidungssammlung), obwohl sie in den vom KVVG zu entscheidenden verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten (§ 3 Abs. 1 KVVG-EKHN) nicht ausdrücklich aufgeführt ist.
bb) Eine Anfechtungsklage kommt dagegen nicht in Betracht. Dafür fehlt es der Anordnung vom 10. November 2022 an der Qualität eines kirchlichen Verwaltungsaktes im Sinne des § 3 Abs. 2 KVVG-EKHN. Namentlich hat diese keine Außenwirkung.
(1) Nach § 3 Abs. 2 KVVG-EKHN ist kirchlicher Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder sonstige Maßnahme, die ein kirchliches Leitungs- oder Verwaltungsorgan oder eine kirchliche Dienststelle zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet der kirchlichen Verwaltung trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
(2) Vorliegend fehlt es der Anordnung vom 10. November 2022 deswegen an einer Rechtswirkung nach außen, weil ihr – so zum staatlichen Recht des § 35 VwVfG – „…Schwerpunkt … in der Frage der künftigen Dienstleistung und der Konkretisierung der darauf bezogenen, … Pflicht des Beamten, bei der Klärung seiner Dienstfähigkeit mitzuwirken (,liegt). Als gemischte dienstlich-persönliche Weisung regelt die Untersuchungsanordnung einen einzelnen Schritt in dem gestuften Verfahren, das bei Feststellung seiner Dienstunfähigkeit mit seiner Zurruhesetzung endet …“ (BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 17/10 –, NVwZ 2012, 1483 Rn. 15 mwN). Diese Einordnung gilt auch im kirchlichen Recht (vgl. Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Urteil vom 11. Oktober 2013 – VG 02/13 – zu § 91 Abs. 3 PfDG.EKD, abrufbar unter https://www.kirchenrecht-ekwue.de/document/29445/search/%2522Dienstf%25C3%25A4higkeit%2522).
cc) In der Hauptsache einschlägig ist daher zur Durchsetzung eines (Folgen-)Beseitigungsanspruchs auf Rücknahme der Untersuchungsanordnung (vgl. VGH Kassel NVwZ-RR 2022, 502 Rn. 30) eine allgemeine Leistungsklage (vgl. BeckOK BeamtenR Bund/Heid, 28. Ed. 1.11.2022, BBG § 44 Rn. 39), die – wie ausgeführt – in der Rechtsprechung des KVVG anerkannt ist. In deren Vorfeld kann grundsätzlich auch eine einstweilige Anordnung beantragt werden.
2.
Der Antrag ist aber aus anderen Gründen unzulässig. Dem Antragsteller fehlt das in jedem gerichtlichen Streitverfahren nötige Rechtsschutzbedürfnis.
a) Auch im Verfahren nach § 123 VwGO bedarf der Antragsteller des allgemeinen Rechtschutzbedürfnisses. Daran mangelt es ihm, wenn eine Einstweilige Anordnung zur Wahrung seiner Rechte nicht erforderlich ist (Puttler, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 123, Rn. 70).
b) Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, weil der Antragsteller mit Durchführung eines Vorfahrens beim Antragsgegner entweder bereits seine Rechte hinreichend gewahrt hat oder sie durch ein solches auch aktuell noch problemfrei wahren kann.
aa) Innerhalb des Geltungsbereiches des Ausführungsgesetzes zum Kirchenbeamtengesetz der EKD (KBGAG-EKHN) sind die Rechte eine Kirchenbeamten gegenüber sein Beamtenverhältnis betreffende dienstliche Anordnungen seines Dienstherrn dadurch vorläufig gewahrt, dass er gegen diese Beschwerde einlegen kann; und zwar nicht nur in Form der allgemeinen Beschwerde nach § 86 Kirchenbeamtengesetz der EKD (KBG.EKD), sondern ausdrücklich im Sinne eines Vorverfahrens vor Klageerhebung nach § 87 Abs.1 und 2 KBG.EKD. Diesen Rechtsbehelf eröffnet ihm – ähnlich wie die §§ 126 Abs. 2 BRRG, 54 Abs. 2 BeamtStG – die Öffnungsklausel des § 87 Abs. 2 KBG.EKD. Diese nutzend enthält § 15 KBGAG-EKHN einen Verweis auf § 2 Abs. 5 Kirchenverwaltungsgesetz der EKHN (KVG-EKHN). Dieser Rechtsbehelf hat dabei ausdrücklich aufschiebende Wirkung, vgl. § 2 Abs. 5 Satz 2 KVG-EKHN.
bb) Dieser in der Hauptsache mögliche und zur Rechtsverfolgung gebotene Rechtsbehelf ist fristgebunden, vgl. § 2 Abs. 5 Satz 2 KVG-EKHN. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung des Dienstherrn an den Kirchenbeamten und beträgt einen Monat. Allerdings beginnt die Frist nur zu laufen, wenn der oder die Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist, vgl. § 30 Abs. 1 Verwaltungsverfahrens- und -zustellungsgesetz der EKD (VVZG.EKD). Ist die Belehrung unterblieben, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe zulässig, vgl. § 30 Abs. 2 VVZG.EKD.
cc) Es erscheint nicht fernliegend, das vom Antragsteller an den Antragsgegner übermittelte Schreiben vom 15. November 2022 einschließlich der Gegenvorstellung als Beschwerde und damit Einleitung des Vorverfahrens einzustufen. Dagegen spricht allenfalls, dass der Antragsteller gleichzeitig zum Ausdruck gebracht hat, er wolle der Untersuchungsanordnung Folge leisten, was jedoch in Unkenntnis der mit der Beschwerde verbundenen Rechtsfolgen geschehen sein dürfte. Hätte der Antragsteller um die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gewusst, die hier nicht durch § 87 Abs. 3 KBG.EKD ausgeschlossen ist, so hätte er sich vermutlich nicht zur Wahrnehmung des Untersuchungstermines bereit erklärt, wie der anschließend gestellte Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz zeigt. Möglicherweise ließen sich deshalb auch die dem Antragsgegner vom VG Frankfurt zugestellte Antragsschrift oder die ebenfalls dem Antragsgegner übermittelte Antragsschrift in hiesigem Verfahren als Einleitung des Vorverfahrens interpretieren. Folglich wäre die Befolgungspflicht für den Antragsteller, vgl. § 20 S. 2 KBG.EKD, schon einstweilen suspendiert und seine Rechte vorläufig durch die gesetzliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gewahrt.
Anderenfalls hätte es der Antragsteller aktuell noch selbst in der Hand, durch Einleitung des benannten Vorverfahrens die aufschiebende Wirkung seines zu ergreifenden Rechtsbehelfs in Bezug auf die Untersuchungsanordnung herbeizuführen. Die Frist des § 2 Abs. 5 Satz 2 KVG-EKHN steht dem deswegen nicht entgegen, weil der Antragsteller über diese und den statthaften Rechtsbehelf nicht belehrt wurde. Die Jahresfrist des § 30 Abs. 2 VVZG.EKHN ist im Hinblick auf die Anordnung vom 10. November 2022 noch nicht abgelaufen.
Somit bedarf es der begehrten einstweiligen Anordnung aktuell nicht und dem Antragsteller fehlt dafür das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 38 KVVG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.