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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss
Datum:07.03.1969
Aktenzeichen:KVVG II 1/69
Rechtsgrundlage:§ 10 PfStG, § 35 KVVG, § 572 ZPO
Vorinstanzen:
Schlagworte:, Aufschiebende Wirkung, Beschwerde, Beschwerdeverfahren, Einstweilige Anordnung, Pfarrerwahl, Wahlanfechtung
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Leitsatz:

1. Ob es für eine im Beschwerdeverfahren beantragte einstweilige Anordnung, mit der ein Aufschub der angefochtenen Verwaltungsentscheidung erreicht werden soll, auf Grund der in § 35 KVVG enthaltenen Verweisung auf die Zivilprozessordnung (§ 572 Abs. 3 ZPO) eine Rechtsgrundlage gibt, erscheint zweifelhaft.
2. Die kirchengesetzlich geregelte Beschwerde an das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht hat in der Regel keine aufschiebende Wirkung. Bei der Frage, ob schwerwiegende Gründe eine Ausnahme von diesem Grundsatz gebieten können, ist für den beantragten Aufschub der Amtseinführung eines Pfarrers ins Auge zu fassen, dass auch der Beschwerde in einem Wahlanfechtungsverfahren keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. auch die Entscheidung im Fall Nr. 35 - "Verwaltung einer Pfarrstelle" -).

Tenor:

In dem Verfahren
a) des Polizeipräsidenten B., A,
b) des Generals a.D. C., A,
c) des Facharztes D., A,
Beschwerdeführer
gegen
die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Beschwerdegegnerin
wegen
Aufhebung des Beschlusses der Kirchenleitung vom 16. Dezember 1968 betreffend Wahl des Pfarrers i.R. A. zum Stelleninhaber der Pfarrstelle I der A-Kirchengemeinde A wird der Antrag der Beschwerdeführer, der Beschwerdegegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die für den 9. März 1969 vorgesehene Amtseinführung des Pfarrers A., aufzuschieben, zurückgewiesen.
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Gründe I:

I. Der Kirchenvorstand der A-Kirchengemeinde A wählte in seiner Sitzung vom 27. 0ktober 1968 den Pfarrer i.R. A. zum Stelleninhaber der Pfarrstelle I. Gegen die Wahl erhoben die Beschwerdeführenden Mitglieder des Kirchenvorstandes Einspruch. Der Einspruch wurde durch Beschluss der Beschwerdegegnerin vom 16. Dezember 1968 zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss, der ihnen nach ihrer Behauptung am 19. Dezember 1968 zugegangen ist, haben die Beschwerdeführer mit einem am 16. Januar 1969 bei Gericht eingegangenen Schreiben Beschwerde erhoben. Zur Begründung der Beschwerde tragen sie vor, in dem Einspruchsverfahren sei ihnen von der Beschwerdegegnerin nicht in dem nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gebotenen Umfang rechtliches Gehör gewährt worden; die angefochtene Entscheidung selbst sei unrichtig, da der Kirchenvorstand der A-Kirchengemeinde nach § 10 Abs. 1 Satz 3 des Kirchengesetzes betreffend die Besetzung der Pfarrstellen nicht mehr zur Wahl befugt und das Wahlverfahren selbst nicht gesetzmäßig gewesen sei.
Die Beschwerdeführer beantragen,
die Beschwerdegegnerin anzuweisen, bis zur Entscheidung des Rechtsstreits die Einführung von Pfarrer A. am 9. März 1969 in sein Amt aufzuschieben.
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Gründe II:

II. Dem Antrag kann nicht entsprochen werden.
Weder das Kirchengesetz betreffend die Besetzung der Pfarrstellen vom 11. Mai 1949 (ABl. S. 73) noch das Kirchengesetz über das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht (KVVG) vom 14. Februar 1952 (ABl. S. 18) legen der von den Beschwerdeführern erhobenen Beschwerde eine aufschiebende Wirkung bei. Auch die Möglichkeit zum Erlass einer einstweiligen Anordnung wird in keinem von beiden Gesetzen ausdrücklich eröffnet. Als Rechtsgrundlage für eine solche Anordnung käme daher nur auf Grund der Verweisung in § 35 KVVG die Vorschrift des § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Betracht. Ob diese Vorschrift in Verfahren der vorliegenden Art tatsächlich anwendbar ist, erscheint jedoch zweifelhaft. Denn § 572 Abs. 3 ZPO gilt für die Beschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, also das gerichtliche Rechtsmittelverfahren, während es sich im vorliegenden Fall um die Beschwerde gegen eine Verwaltungsentscheidung und somit um ein erstinstanzliches gerichtliches Verfahren handelt. Darüber hinaus könnte man aus der Tatsache, dass der Kirchengesetzgeber der Beschwerde im Gegensatz zu dem Einspruch gegen eine Pfarrerwahl keine aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, den Schluss ziehen, dass hierin eine abschließende, auch eine einstweilige Anordnung ausschließende Regelung liegt.
Selbst wenn man jedoch grundsätzlich eine einstweilige Anordnung für zulässig halten würde, wäre sie angesichts der Tatsache, dass die Kirchengesetze der Beschwerde für den Regelfall keine aufschiebende Wirkung zuerkennen, nur gerechtfertigt, wenn schwerwiegende Gründe sie im Einzelfall geboten erscheinen lassen. Solche Gründe sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erkennbar. Für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung spricht lediglich der Umstand, dass im Falle der Amtseinführung von Pfarrer A. die Gefahr besteht, dass dieser eine Zeitlang amtiert, obwohl sich hinterher ergibt, dass seine Wahl für unwirksam erklärt werden muss. Diese Gefahr besteht jedoch bei jeder Wahlanfechtung. Da der Kirchengesetzgeber der Beschwerde in einem Wahlanfechtungsverfahren keine aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, kann diese Gefahr allein daher die beantragte einstweilige Anordnung nicht rechtfertigen.
Andere Gründe, die eine einstweilige Anordnung zu rechtfertigen vermöchten, sind von den Beschwerdeführern nicht vorgetragen worden. Insbesondere lassen sich die Erfolgsaussichten der erhobenen Beschwerde im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens, indem dem Gericht weder eine Beschwerdeerwiderung noch die angeforderten Verwaltungsvorgänge vorliegen, nicht beurteilen. Hingegen spricht gegen den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung die Tatsache, dass die Amtseinführung von Pfarrer A. bereits für den 9. März 1969 vorgesehen und der Gemeinde schon bekannt gemacht ist. Eine Absage der Amtseinführung in letzter Minute wäre für den betroffenen Pfarrer eine erhebliche Härte, sie würde den unerfreulichen Streitigkeiten innerhalb der A-Kirchengemeinde A eine unerwünschte Publizität verschaffen und die Gegen-sätze innerhalb dieser Gemeinde weiter verschärfen.
Darmstadt, den 7. März 1969
Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht
der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
2. Kammer