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Kirchengericht: | Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN |
Entscheidungsform: | Urteil (rechtskräftig) |
Datum: | 14.11.1975 |
Aktenzeichen: | KVVG II 3/74 |
Rechtsgrundlage: | §§ 30,56 PfG; §§ 17,35 KVVG, §§ 233,234,236 ZPO |
Vorinstanzen: | |
Schlagworte: | Beschwerdefrist, Hilfsanträge, Rechte des geistlichen Standes, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Zufall, unabwendbarer |
Leitsatz:
1. Die Frage, ob die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegenüber der Versäumung der Beschwerdefrist des § 17 Abs. 3 Satz 1 KVVG nach den kirchenrechtlichen Vorschriften schlechthin ausgeschlossen ist, bleibt offen (Distanz zu der Entscheidung im Fall Nr. 26 - "Untätigkeitsbeschwerde" -; vgl. auch die Entscheidung im Fall Nr. 8 - "Pfarramtskassenführung" -).
2. Über ein im Beschwerdeverfahren gestelltes Hilfsbegehren, das einen neuen Sachkomplex betrifft, muss der Beschwerdeführer zunächst eine Verwaltungsentscheidung des zuständigen kirchlichen Organs herbeiführen, bevor er das Kirchengericht mit ihm befassen kann (Abgrenzung zu der Entscheidung im Fall Nr. 21 - "Personalakten" -; vgl. auch die Entscheidung im Fall Nr. 11 - "Wahl des Dekanatssynodalvorstandes" -).
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Die außergerichtlichen Kosten trägt der Beschwerdeführer.
#Tatbestand:
Der Beschwerdeführer war früher Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau; er wurde aus dem Dienst der Kirche entlassen.
Im Juli 1971 beantragte er, ihm die Rechte des geistlichen Standes zu belassen. Die Beschwerdegegnerin beschloss in ihrer Sitzung am 25. Februar 1974, diesen Antrag abzulehnen. Zur Begründung führte sie aus, nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über den Verlust der Rechte des geistlichen Standes in der Fassung vom 2. Mai 1946 verliere ein Geistlicher diese Rechte, wenn er aus dem kirchlichen Dienst ausscheide und in eine nicht kirchliche Tätigkeit übergehe, falls ihm nicht diese Rechte ausdrücklich belassen würden; besondere Gründe für die Belassung der Rechte seien im Falle des Beschwerdeführers nicht gegeben, so dass es bei dem Regelfall des Verlusts dieser Rechte bleiben müsse.
Die Beschwerdegegnerin teilte dem Beschwerdeführer diesen Beschluss mit Schreiben vom 6. März 1974 mit. Das Schreiben wurde am 8. März 1974 durch Übergabe an seine Ehefrau zugestellt.
Am 8. April 1974 richtete der Beschwerdeführer hierauf ein Schreiben an das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht, in dem es heißt:
"Hiermit beantrage ich, die Einspruchsfrist bis zum 1. Juni 1974 zu verlängern, da es mir aus persönlichen Gründen bis jetzt nicht möglich war, die von mir in dieser Frage als notwendig erachtete Rechtsberatung einzuholen."
Das Schreiben ist bei Gericht am 10. April 1974 eingegangen.
Der Vorsitzende der Kammer teilte dem Beschwerdeführer auf dieses Schreiben mit, das Gericht könne die Beschwerdefrist nicht verlängern.
Mit Schreiben vom 27. Mai 1974, eingegangen am 28. Mai 1974, schrieb der Beschwerdeführer nunmehr dem Gericht:
"Hiermit lege ich Beschwerde gegen den Beschluss der Kirchenleitung vom 25. Februar 1974 ein."
In einem weiteren Schreiben vom 1. Juni 1974 hat der Beschwerdeführer bezüglich seiner Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung führt er aus: Er habe erst am 8. April 1974 von dem Beschluss Kenntnis erhalten. Da er sich im März/April 1974 einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen habe und er von dieser nicht habe abgelenkt werden sollen, habe seine Ehefrau ihm das Schreiben erst zu dem genannten Zeitpunkt in Oberstaufen, wo er sich damals aufgehalten habe, übergeben.
In einem späteren Schriftsatz vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, bereits sein Schreiben vom 8. April 1974 sei in einen Wiedereinsetzungsantrag und eine Beschwerde gegen den Beschluss der Kirchenleitung umzudeuten.
Seinen Antrag auf Belassung der Rechte des geistlichen Standes begründet er wie folgt: Er beabsichtige, wieder in den kirchlichen Dienst zu treten. Er erteile zur Zeit Religionsunterricht in einer Berufsschule und wolle dies auch weiter tun. Er beantrage daher vorsorglich, ihm zumindest das Recht auf Erteilung von Religionsunterricht zu belassen. Schließlich hätte die Nichtbelassung der geistlichen Rechte zur Folge, dass das gegen ihn laufende Disziplinarverfahren ohne Sachprüfung eingestellt werden müsse. Er bestehe dort jedoch auf einer Entscheidung, um sich rechtfertigen zu können.
Der Beschwerdeführer beantragt,
ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, den Beschluss der Kirchenleitung vom 25.2.1974 aufzuheben und ihm die Rechte des geistlichen Standes zu belassen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Beschwerde sei unzulässig. Der Umstand, dass den Beschwerdeführer seine Ehefrau nicht rechtzeitig von der Zustellung des Schreibens der Kirchenleitung unterrichtet habe, sei kein unabwendbarer Zufall im Sinne von § 35 KVVG, § 233 Abs. 1 ZPO. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher nicht begründet.
Wegen der Einzelheiten des Sachvortrags wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
#Entscheidungsgründe:
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte nicht stattgegeben werden. Die Beschwerde musste deshalb als unzulässig verworfen werden.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerde nicht fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdefrist betrug nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KVVG einen Monat. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 3 Pfarrergesetz, nach der die Beschwerde innerhalb einer Frist von drei Monaten erhoben werden kann, ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da sie nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Pfarrergesetz nur Entscheidungen auf Grund dieses Gesetzes betrifft, die angefochtene Entscheidung jedoch auf der Verordnung des Leiters der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei über den Verlust der Rechte des geistlichen Standes vom 4. April 1944 beruht. Auf diese Verordnung wird in § 56 Abs. 3 des Pfarrergesetzes lediglich verwiesen; die auf Grund der Verordnung ergangenen Entscheidungen werden dadurch nicht zu Entscheidungen auf Grund des Pfarrergesetzes. Die Rechtsmittelfrist begann nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KWG "mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von dem Beschluss Kenntnis erlangt hat". Die Kammer neigt zu der Auffassung, dass die Frist hiernach bereits mit der förmlichen Zustellung des Beschlusses der Beschwerdegegnerin an den Beschwerdeführer zu Händen seiner Ehefrau am 8. März 1974 begonnen hat, dass es bei einer förmlichen Zustellung mithin nicht auf die von dem Beschwerdeführer behauptete tatsächliche Kenntnisnahme am 8. April 1974 ankommt. Die Frage braucht jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, da die Beschwerde selbst dann nicht fristgerecht eingelegt worden wäre, wenn die Beschwerdefrist erst am 8. April 1974 begonnen hätte. Denn der Beschwerdeführer hat Beschwerde erst mit dem am 28. Mai 1974 bei Gericht eingegangenen Schreiben vom 27. Mai 1974 erhoben. Sein Schreiben vom 8. April 1974 kann nicht als Beschwerde angesehen werden. Es enthält nur den Antrag, die "Einspruchsfrist" zu verlängern; aus ihm geht hervor, dass der Beschwerdeführer sich damals noch nicht schlüssig war, ob er Beschwerde einlegen solle, dass er hierzu zunächst noch Rechtsrat einholen wollte. Der Beschwerdeführer selbst geht hiervon in seinem Schriftsatz vom 27. Mai 1974 aus, wenn er dort schreibt: "Hiermit lege ich Beschwerde ... ein."
Auch dem Antrag des Beschwerdeführers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, konnte nicht stattgegeben werden. Die Kammer hat in ihrem Beschluss vom 17. Oktober 1972 (II 1/72) die Auffassung vertreten, gegen die Versäumung der Beschwerdefrist könne nach den kirchenrechtlichen Vorschriften Wiedereinsetzung überhaupt nicht gewährt werden. Es bleibt im vorliegenden Fall dahingestellt, ob diese Auffassung, die im Widerspruch zu dem Beschluss der Kammer vom 22. Oktober 1960 (II 1/58) steht, aufrechterhalten werden kann. Denn eine Wiedereinsetzung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil zu dem oben unterstellten Zeitpunkt des Beginns der Beschwerdefrist, dem 8. April 1974, das Hindernis für die fristgerechte Einlegung der Beschwerde - die Unkenntnis des Beschwerdeführers von dem Beschluss der Beschwerdegegnerin - bereits nicht mehr bestand. Im übrigen hätte die Wiedereinsetzung nach § 35 KVVG, § 234 ZPO innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall dieses Hindernisses beantragt werden müssen. Der Wiedereinsetzungsantrag musste nach § 236 Satz 2 ZPO enthalten: die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen; die Angabe der Mittel für ihre Glaubhaftmachung; die Nachholung der behaupteten Prozesshandlung oder, wenn diese bereits nachgeholt ist, die Bezugnahme hierauf. Ein diesen Vorschriften entsprechender Wiedereinsetzungsantrag ist erst in dem Schriftsatz vom 1. Juni 1974 gestellt worden.
Die Kammer weist abschließend darauf hin, dass sie, auch wenn die Beschwerde zulässig gewesen wäre, über den in dem Schriftsatz vom 10. November 1975 vorsorglich gestellten Antrag, dem Beschwerdeführer zumindest das Recht auf Erteilung von Religionsunterricht zu belassen, nicht hätte entscheiden können. Zu diesem Antrag muss der Beschwerdeführer zunächst eine Verwaltungsentscheidung des zuständigen kirchlichen Organs herbeiführen, bevor er das Kirchengericht mit ihm befassen kann. Dem Beschwerdeführer steht es auch frei, bei der zuständigen Stelle einen Antrag auf Wiederverleihung der Rechte des geistlichen Standes zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 33 KVVG; § 35 KVVG, § 91 ZPO.