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Kirchengericht: | Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 29.10.1984 |
Aktenzeichen: | KVVG II 5/84 |
Rechtsgrundlage: | § 37 PfG; § 20 KVVG; § 80 VwGO |
Vorinstanzen: | |
Schlagworte: | Anordnung der sofortigen Vollziehung, Beurlaubung, Rechtsschutzinteresse |
Leitsatz:
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung bedarf wegen ihres Ausnahmecharakters einer Begründung, obwohl dies in § 20 Abs.1 KVVG, anders als in § 80 Abs.3 VwGO, nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Die Begründung kann im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden.
Bei der Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist zu prüfen, ob ein Ausnahmefall vorliegt, in dem das besondere kirchliche Interesse Vorrang vor dem Rechtschutzinteresse des Antragstellers hat.
Bestehen grundsätzliche Auseinandersetzungen und auch Zerwürfnisse zwischen einem Gemeindepfarrer und dem Kirchenvorstand, die zur Zerstörung eines geordneten kirchlichen Lebens in der Gemeinde führen müssen, und kann auch die seelsorgerische Betreuung der Gemeinde von diesen Spannungen nicht unberührt bleiben, wenn der Gemeindepfarrer durch die Konfliktssituation psychisch stark belastet ist, so kann es im allseitigen Interesse angebracht sein, die sofortige Vollziehung einer gemäß § 37 PfG angeordneten Beurlaubung zu bestätigen.
Tenor:
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der mit Bescheid der Antragsgegenerin vom 1./4.10.1984 verfügten Beurlaubung des Antragstellers wird zurückgewiesen.
Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben.
Der Antragsteller trägt seine außergerichtlichen Kosten.
#Gründe I:
I.
Mit 7 gegen 6 Stimmen vom Kirchenvorstand gewählt übernahm der Antragsteller am 1. August 1983 unter Einweisung in seine erste Planstelle das Amt eines Pfarrers an der ....kirchengemeinde in A. Bereits ab Oktober 1983 traten Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit des Antragstellers mit dem Kirchenvorstand auf. In einer außerordentlichen Sitzung am 21. März 1984 wurde der Antragsteller vom Kirchenvorstand aufgefordert, sich bis zum 30. Juni 1984 um eine andere Stelle oder einen anderen Dienstauftrag zu bemühen. In einer weiteren Sitzung am 12. April 1984, die in Anwesenheit von Propst C. und Dekan D. stattfand und von der der Antragsteller zeitweise ausgeschlossen war, beschloss der Kirchenvorstand mit 12 gegen 1 Stimme, bei der Antragsgegnerin die Versetzung des Antragstellers zu beantragen.
Im Laufe des von der Antragsgegnerin eingeleiteten Versetzungsverfahrens wurde der Antragsteller schriftlich und mündlich zu den Gründen gehört, die den Kirchenvorstand zu seinem Antrag veranlasst haben.
Ein am 1. Oktober 1984 von der Antragsgegnerin gefasster und dem Antragsteller mit Schreiben der Kirchenverwaltung vom 4. Oktober 1984 mitgeteilter Beschluss stellt fest, dass eine gedeihliche Führung des Amtes des Antragstellers in seiner Gemeinde auf Dauer nicht mehr zu erwarten sei. In dem Schreiben heißt es weiter:
„Sie (die Kirchenleitung) hat ferner beschlossen, Sie gemäß § 37 Pfarrergesetz mit Wirkung vom 1. November 1984 vom Dienst zu beurlauben, so dass Sie Gelegenheit haben, sich um eine andere Stelle zu bemühen. Die Kirchenleitung beabsichtigt, Sie mit Wirkung vom 1. Februar 1985 in eine andere Stelle oder in den Wartestand zu versetzen, falls Sie bis dahin keinen anderen Dienstauftrag erhalten haben. Sie hat die sofortige Vollziehung der Entscheidung über Ihre Beurlaubung angeordnet."
Zur Begründung wird auf die Sitzungen des Kirchenvorstandes vom 21. März und 12. April 1984 eingegangen, aus denen sich ergeben habe, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Antragstellers mit dem Kirchenvorstand und den Mitarbeitern nicht möglich sei.
Die Vollziehungsanordnung wurde nicht näher begründet. Die Begründung für diese Anordnung wurde vielmehr erst im Laufe des vorliegenden Verfahrens in einem Schriftsatz der Kirchenverwaltung vom 25. Oktober 1984 gegeben. Dem besonderen kirchlichen Interesse werde nach den Ausführungen in diesem Schriftsatz deshalb der Vorzug vor dem Interesse des Antragstellers gegeben, weil die Spannungen in der Gemeinde abgebaut und die fristgerechte Vorbereitung der Kirchenvorstandswahl - gefährdet durch die Mitgliedschaft des Antragstellers im Wahlausschuss - ermöglicht werden müssten. Die Tätigkeit des Antragstellers als Prediger wird dabei ausdrücklich als positiv bewertet.
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 1984, eingegangen am 18. Oktober 1984, hat der Antragsteller Anfechtungsklage mit dem Ziel erhoben, die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 1984 über die Beurlaubung aufzuheben. Ferner begehrt er festzustellen, dass die Voraussetzungen einer Versetzung nicht nachgewiesen seien.
Außerdem beantragt der Antragsteller,
die sofortige Vollziehung des Beschlusses der Antragsgegnerin vom 1. /4. Oktober 1984 über die Beurlaubung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
diesen Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsteller führt zur Begründung seines Antrages aus:
Die Antragsgegenerin habe die gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Kirchenvorstand mit der gedeihlichen Führung des Amtes verwechselt, ohne dabei die eigentlichen Funktionen des Pfarrers, nämlich Gottesdienst, Seelsorge und Unterweisung ihrem Gewicht nach zu bewerten. Seine, des Antragstellers, hervorragende Leistungen auf homiletischem, seelsorgerlichem und religionspädagogischem Gebiet blieben unberücksichtigt, wie unter Beweisantritt näher ausgeführt wird. Für die kirchengemeindliche Verwaltung sei er nur verantwortlich, soweit er gemäß Art. 17 Abs. 3 KO den Vorsitz im Kirchenvorstand führe. Dieser werde aber seit dem 12. April 1984 von der Kirchenvorsteherin Frau E. wahrgenommen.
#Gründe II:
II.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der umstrittenen Beurlaubung des Antragstellers ist zulässig. Der mit Bescheid der Kirchenverwaltung vom 4. Oktober 1984 mitgeteilte Beschluss der Antragsgegnerin vom 1. Oktober 1984 über die Beurlaubung des Antragstellers stellt einen Verwaltungsakt dar mit der Folge, dass der vom Antragsteller erhobenen Anfechtungsklage gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 KVVG grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt. Nachdem aber die Antragsgegenerin die sofortige Vollziehung der von ihr verfügten Beurlaubung angeordnet hat, steht dem Antragsteller zulässigerweise der Rechtsbehelf nach § 20 Abs. 2 KVVG zur Verfügung, wonach das erkennende Gericht auf Antrag die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen kann.
Der Antrag kann aber in der Sache keinen Erfolg haben.
Die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Anfechtungsklage ist die Regel, die sofortige Vollziehung hingegen die Ausnahme. Sie setzt ein besonderes kirchliches Interesse voraus, welches über das allgemeine kirchliche Interesse an dem Bescheid und an der Durchführung des Verwaltungsaktes hinausgeht. Als derart gestaltete Ausnahme bedarf die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Begründung, obwohl dies in § 20 Abs. 1 KVVG anders als in § 80 Abs. 3 VwGO nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist (vgl. auch § 38 KVVG). Die Kirchenverwaltung hat diese Begründung zulässigerweise nachträglich in ihrem Schriftsatz vom 25. Oktober 1984 gegeben. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht der Verwaltungsakt der Beurlaubung als solcher, dessen Beurteilung der Endentscheidung vorbehalten bleiben muss. Etwas anderes hätte nur dann zu gelten, wenn die Rechtmäßigkeit (oder Rechtswidrigkeit) der umstrittenen Beurlaubung o f f e n s i c h t l i c h wäre. Denn an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Bescheids besteht ein Interesse ebenso, wie es im entgegengesetzten Fall zu verneinen wäre. Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der angeordneten Beurlaubung lassen sich jedoch bei der Komplexität der Sach- und Rechtslage gegenwärtig noch nicht beurteilen.
Das Gericht hat sich daher darauf zu beschränken zu prüfen, ob ein Ausnahmefall vorliegt, in dem das besondere kirchliche Interesse Vorrang vor dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers hat. Eine Abwägung dieser Interessen führt zu dem Ergebnis, dass dem kirchlichen Interesse der Vorzug gegeben werden muss. Das Gericht hat aus den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen den Eindruck gewonnen, dass bei der Vielschichtigkeit aller vorgetragenen Fakten und Wertungen, über die im summarischen Verfahren nach § 20 Abs. 2 KVVG kein abschließendes Bild gewonnen werden kann, grundsätzlich Auseinandersetzungen, auch Zerwürfnisse zwischen Antragsteller und Kirchenvorstand vorliegen, die zur Zerstörung eines geordneten kirchlichen Lebens in der Gemeinde führen müssen. Auch die seelsorgerische Betreuung der Gemeinde kann von diesen Spannungen nicht unberührt bleiben, wenn der Antragsteller - wie er in seinem Schreiben vom 20. Juli 1984 selbst ausführt - infolge der Konfliktsituation unter Herzbeschwerden, Konzentrations- und Schlafstörungen sowie unter Erschöpfungszuständen leidet. Für den Antragsteller selbst muss es daher ebenfalls zum Nachteil gereichen, wenn er ohne eine Urlaubspause unter den gegenwärtigen Verhältnissen sein Amt weiter versehen würde. Wie konfliktträchtig die Situation ist, zeigt die Ergebnislosigkeit der Vergleichsverhandlungen am 16. Mai 1984. Eine weitere Verschlechterung der Situation in der Gemeinde ist, wenn der Antragsteller den angeordneten Urlaub nicht antritt, zu befürchten. Sie würde auch die fristgerechte Erstellung eines Wahlvorschlags für die Neuwahl des Kirchenvorstandes im April 1985 zumindest erschweren.
In Abwägung der sich aus alledem ergebenden Interessenlage hält es das Gericht für geboten, für die Zwischenzeit bis zur endgültigen Entscheidung des Rechtsstreits die sofortige Vollziehung der Beurlaubung zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 36, 38 KVVG, § 155 Abs. 1 VwGO.