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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:18.12.1989
Aktenzeichen:KVVG II 7/89
Rechtsgrundlage:Art. 12,19 GG; §§ 35a,36,39 PfG; § 20 KVVG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Aussetzung der sofortigen Vollziehung, Ermessensentscheidung, Ungedeihlichkeit, Versetzung, Wartestand
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Leitsatz:

Tenor:

Der Antrag, die sofortige Vollziehung der durch Beschluss der Kirchenleitung vom 10. 10. 1989 angeordneten Versetzung des Antragstellers in den Wartestand auszusetzen, wird zurückgewiesen.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten trägt der Antragsteller.
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Gründe I:

I.
Die Antragsgegnerin hat am 10. 10. 1989 beschlossen, den Antragsteller mit Wirkung vom 1. 11. 1989 in den Wartestand zu versetzen Sie hat die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung angeordnet.
Die Gründe für die beiden Maßnahmen wurden dem Antragsteller in einem Schreiben der Kirchenverwaltung vom 30. 10. 1989 mitgeteilt. Die Antragsgegnerin stützt die Versetzung des Antragstellers in den Wartestand darauf, dass eine gedeihliche Führung seines Amtes als Inhaber der Pfarrstelle I der Kirchengemeinde A. nicht mehr zu erwarten sei und dass die Versetzung in eine andere Pfarrstelle z. Zt. nicht durchführbar sei (§§ 35a Abs. 1 c und 39 PfG).
Die Führung seines Amtes in A. werde durch mehrere Umstände so stark belastet, dass ein gedeihliches Wirken in dieser Gemeinde nicht mehr zu erwarten sei. Das persönliche Ansehen des Antragstellers und damit seine Amtsführung seien dadurch besonders belastet, dass die Beziehung zu seiner künftigen Frau nach Meinung eines Teils der Gemeindeglieder maßgebend zum Scheitern seiner ersten Ehe beigetragen habe. Ferner sei nach dem Ergebnis der mündlichen Anhörung des Kirchenvorstandes in den Sitzungen am 27. 6. und 5. 9. 1989 eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Kirchenvorstand und dem Antragsteller nicht mehr möglich. In der Sitzung am 5. 9. 1989 habe die große Mehrheit des Kirchenvorstands dem Beschluss der Kirchenleitung zur Einleitung eines Versetzungsverfahrens zugestimmt. Nur drei Mitglieder hätten einer Versetzung widersprochen. Damit sei die notwendige Grundlage für eine konstruktive Zusammenarbeit des Kirchenvorstands mit dem Antragsteller - eine wesentliche Voraussetzung für eine gedeihliche Führung des Amtes - nicht mehr vorhanden. Die Anhörung des Kirchenvorstandes habe bestätigt, dass die Auseinandersetzungen um die Amts- und Lebensführung des Antragstellers nicht nur den Kirchenvorstand, sondern auch die Gemeinde gespaltet hätten. Der Vorsitzende des Pfarrerausschusses habe am 5. 9. 1989 mitgeteilt, der Pfarrerausschuss werde einer Versetzung nicht widersprechen. Die Versetzung in den Wartestand sei erforderlich, da sich die Versetzung in eine andere Stelle als undurchführbar erwiesen habe, weil der Antragsteller trotz wiederholter Aufforderung sich um keine andere Stelle beworben habe.
Die sofortige Vollziehung der Versetzung in den Wartestand sei besonderen kirchlichen Interesse geboten. Der Antragsteller habe seit dem 16. 2. 1989 keinen Dienst mehr in der Gemeinde getan. Eine Wiederaufnahme des Dienstes für die Dauer eines kirchengerichtlichen Verfahrens würde zu erneuten Auseinandersetzungen um die Person des Antragstellers führen und den Kirchenvorstand, der eine Zusammenarbeit mit ihm mehrheitlich ablehne, arbeitsunfähig machen. Die Anhörung des Kirchenvorstands am 5. 9. 1989 habe ergeben, dass das Gemeindeleben in den letzten Monaten offenbar wieder lebendiger geworden sei und sich stabilisiert habe, nicht zuletzt dank der Initiative der beiden jungen Kollegen des Antragstellers und einer großen Zahl ehrenamtlicher Mitarbeiter. Eine Wiederaufnahme des Dienstes durch den Antragsteller würde diese Besserung der Verhältnisse ernsthaft gefährden und damit dem Gemeindeleben schaden. Es komme hinzu, dass der Antragsteller nach seiner eigenen Bekundung. z.B. in dem Gespräch am 26. 9. 1989, erheblich unter der Konfliktsituation und dem Versetzungsverfahren leide. lm Hinblick auf diese starke psychische Belastung und seinen ohnehin labilen Gesundheitszustand sei nicht zu erwarten, dass der Antragsteller z. Zt. den seelsorgerlichen und sonstigen Anforderungen des Pfarrdienstes entsprechen könne.
Der Antragsteller hat gegen die Versetzung in den Wartestand mit Schreiben vom 27. 11. 1989, bei Gericht eingegangen am 28. 11.1989 Klage erhoben.
Die Anfechtungsklage wird im wesentlichen wie folgt begründet:
Die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für eine Versetzung in den Wartestand seien nicht gegeben. Der Antragsteller sei vor der angefochtenen Entscheidung nicht gemäß § 36 Abs. 1 PfG angehört worden. Weder das Schreiben vom 8. 6. 1989 noch das Gespräch vom 6. 6. 1989 erfüllten die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung. Auch der Kirchenvorstand sei vor der Entscheidung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Im Zeitpunkt dieser Anhörung. habe die Entscheidung der Antragsgegnerin bereits festgestanden die Anhörung des Kirchenvorstands sei daher ein bloßer Formalakt gewesen. Im übrigen seien bei der Anhörung weder die Besetzung des Kirchenvorstandes noch die Art der Abstimmung ordnungsgemäß gewesen. Die Beteiligung des Pfarrerausschusses sei nicht zu der hier gegebenen Wartestandsversetzung erfolgt. Bei der Versetzung in den Wartestand sei der Antragsteller in seinem Grundrecht au Artikel 12 Abs. 1 GG wegen Missachtung des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes verletzt worden. Die Scheidung seiner Ehe könne die Versetzung eines Pfarrers nicht rechtfertigen. Auch die gegen d Amtsführung des Antragstellers erhobenen Vorwürfe seien nicht begründet.
Der Antragsteller beantragt,
die Anordnung der sofortigen Vollziehung der durch den Beschluss der Kirchenleitung vom 10. 10. 1989 angeordneten Wartestandsversetzung des Antragstellers auszusetzen.
Zur Begründung dieses Antrags führt der Antagsteller aus:
Das besondere kirchliche Interesse, das nach § 20 Abs. 1 Satz 2 KVVG Voraussetzung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei, setze voraus, dass die Antragsgegnerin ein Interesse geltend mache, welches über jenes hinausgehe, das die Entscheidung selbst rechtfertige. Der alleinige Wunsch der Antragsgegnerin, die aufschiebende Wirkung der Klage auszuschließen, verletze daher den Antagsteller in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Abs. 4 GG.
Auch die weiter angeführten Gründe seien nicht geeignet, ein besonderes kirchliches Interesse am sofortigen Vollzug zu begründen. Die Antragsgegnerin habe keine neuen Tatsachen vorgetragen, auf Grund derer zu befürchten sei, dass es in der Gemeinde zu einer Auseinandersetzung um die Person des Pfarrers kommen werde. Sie gebe nicht an, wer die Auseinandersetzung führen werde und um welche Themen es dabei voraussichtlich gehen werde.
Der Kirchenvorstand habe nicht für eine Versetzung des Antragstellers gestimmt. Seine Anhörung sei mit verschiedenen formellen und materiellen Mangeln behaftet gewesen. Der Kirchenvorstand habe sich in der Sitzung vom 5. 9. 1989 auch nicht explizit gegen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Antragsteller ausgesprochen. Die Ausführungen zum Gesundheitszustand des Antragstellers seien unzutreffend. Die Hinweise auf ein angeblich lebendigeres Gemeindeleben seien viel zu unbestimmt, als dass sie eine für den Antragsteller nachteilige Maßnahme begründen könnten; sie würden im übrigen bestritten. Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung werde überhaupt nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller bereits seit 23 Jahren als Pfarrer in der Gemeinde erfolgreich arbeite.
Wegen aller Einzelheiten des Vorbringens des Antragstellers wird auf den Antrag vom 27. 11. 1989 und seine Anlagen Bezug genommen.
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Gründe II:

II.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der durch den Beschluss der Antragsgegnerin vom 10. 10. 1989 angeordneten Versetzung des Antragstellers in den Wartestand ist nicht begründet.
Die formellen und materiellen Voraussetzungen der Anordnung des Sofortvollzugs sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Die Antragsgegnerin als das den Verwaltungsakt erlassende Organ durfte nach S. 20 Abs. I Satz 2 KVVG die sofortige Vollziehung der Versetzung des Antragstellers in den Wartestand anordnen, wenn an der sofortigen Vollziehung ein besonderes kirchliches Interesse bestand. Die in dem Schreiben der Kirchenverwaltung vom 30. 10. 1989 dem Antragsteller mitgeteilten Gründe, die die Antragsgegnerin zur Anordnung des Sofortvollzugs veranlasst haben, rechtfertigen die Annahme eines solchen besonderen kirchlichen Interesses am Sofortvollzug. Die insoweit von der Antragsgegnerin getroffene Ermessensentscheidung lässt keine Rechtsfehler erkennen.
Der Antragsteller greift zwar mit einer gewissen Berechtigung den missverständlichen Eingangssatz der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung an, nach dem die sofortige Vollziehung geboten ist, um die aufschiebende Wirkung einer kirchengerichtlichen Klage auszuschließen. Mit dieser Begründung lässt sich die Anordnung des Sofortvollzugs nicht rechtfertigen. Mit dem Einleitungssatz soll jedoch ersichtlich lediglich dargelegt werden, welche rechtliche Bedeutung die Anordnung des Sofortvollzugs hat. Das besondere kirchliche Interesse am Sofortvollzug wird in den sich anschließenden Sätzen des Schreibens - und zwar hinreichend dargetan.
In ihrem Kern besteht diese Begründung darin, dass der Antragsteller bereits seit dem 16. 2. 1989 keinen Dienst mehr in der Gemeinde getan hat und dass eine Wiederaufnahme des Dienstes evtl. nur für die Dauer eines kirchengerichtlichen Verfahrens im Interesse der Gemeinde nicht zu verantworten wäre, weil sie zu erneuten Auseinandersetzungen um die Person des Antragstellers führen, den Kirchenvorstand arbeitsunfähig machen und dem Gemeindeleben schaden würde. Diese Begründung und die in ihr enthaltene Einschatzung der Situation in der Gemeinde sind nicht zu beanstanden. Aus den verschiedenen vom Antragsteller anhängig gemachten kirchengerichtlichen Verfahren ist gerichtsbekannt, dass die Person des Antragstellers zumindest im Kirchenvorstand seiner Gemeinde stark umstritten ist. Aus den vom Antragsteller in dem vorliegenden Verfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich auch, dass - wie auch immer man die vom Antragsteller gerügte Ordnungsmäßigkeit der Beratung und Abstimmung im Kirchenvorstand am 5. 9. 1989 beurteilt - der Kirchenvorstand sich mit deutlicher Mehrheit für einen (sofortigen oder zeitlich aufgeschobenen) Weggang des Antragstellers aus der Gemeinde ausgesprochen hat. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin bei einer Wiederaufnahme des Dienstes des Antragstellers in der Gemeinde negative Auswirkung auf das Gemeindeleben befürchtet, die jedenfalls dann, wenn es sich nur um eine vorübergehende Rückkehr des Antragstellers für die Dauer des kirchengerichtlichen Verfahrens handeln würde, im Interesse der Gemeinde nicht zu verantworten waren.
Bei der von dem Gericht selbst, wenn die formellen und materiellen Voraussetzungen der sofortigen Vollziehbarkeit erfüllt sind, noch nach § 20 Abs. 2 Satz 1 KVVG zu treffenden Ermessensentscheidung über eine Aussetzung der sofortigen Vollziehung kommt das Gericht in ähnlicher Weise zu dem Ergebnis, dass eine Aussetzung der sofortigen Vollziehung nicht angezeigt ist.
Außer Betracht müssen dabei bleiben die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, da diese gegenwärtig noch nicht überschaubar sind.
Bei der somit maßgebenden Abwägung einerseits der Interessen des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der von ihm erhob Anfechtungsklage und andererseits der Interessen seiner Gemeinde kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass es dem Antragsteller im Interesse des Friedens innerhalb seiner Gemeinde zuzumuten ist, vor einer etwaigen Wiederaufnahme seines Dienstes das Ergebnis des kirchengerichtlichen Verfahrens in der Hauptsache abzuwarten.
Der Antragsteller tut bereits seit über zehn Monaten in der Gemeinde keinen Dienst. Es ist zu hoffen. dass das kirchengerichtliche Verfahren in der Hauptsache in wenigen Monaten abgeschlossen werden kann. Durch den angeordneten Sofortvollzug wird sich daher in der tatsächlichen Situation des Antragstellers für eine relativ kurze Zeit nichts ändern. Die rechtlichen Auswirkungen der Versetzung in den Wartestand halten sich innerhalb dieses Zeitraums in Grenzen, da er noch bis zum 31. 1. 1990 seine vollen Bezüge weiter erhält und die danach eintretende Kürzung in Gestalt des Wartegelds im Falle seines Obsiegens durch Nachzahlung ausgeglichen werden würde. Auch seine Dienstwohnung behält der Antragsteller nach dem Schreiben der Kirchenverwaltung vom 30. 10. 1989 bis zum Ablauf des 31. 1. 1990. Das Gericht geht darüber hinaus von der Erwartung aus, dass der Antragsteller die Dienstwohnung auch dann zu dem genannten Zeitpunkt nicht zu räumen braucht, wenn das Kirchengericht bis dahin in der Hauptsache noch nicht entschieden haben sollte. Den hiernach als verhältnismäßig gering einzuschätzenden Nachteilen, die dem Antragsteller aus dem Sofortvollzug entstehen, stehen nach Einschätzung des Gerichts größere Nachteile für die Gemeinde gegenüber, die eine möglicherweise nur vorübergehende Wiederaufnahme des Dienstes durch den Kläger verursachen würde. Die Kirchenleitung hat dies nach Ansicht des Gerichts in der Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs zutreffend dargelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 36 Satz 1 KVVG; § 38 KVVG, § 154 Abs. 1 VwGO.