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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:05.09.2003
Aktenzeichen:KVVG II 5-7/03
Rechtsgrundlage:Art. 19,140 GG; Art. 137 WRV; Art. 6,64 KO; §§ 18,21,25,27 KGWO; §§ 2,3,5,36,38 KVVG; §§ 80,154 VwGO
Vorinstanzen:
Schlagworte:Aufschiebende Wirkung, Einstweilige Anordnung, Kirchenvorstandswahl, Wahlprüfungsverfahren, Zuständigkeit des KVVG
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Leitsatz:

1. Eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Kirchenvorstandswahlen ist – nach derzeit geltendem Verfahrensrecht – bereits deshalb unzulässig, weil dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht durch Kirchengesetz keine derartige Zuständigkeit eingeräumt worden ist.
2. Nach § 21 der Kirchengemeindewahlordnung (KGWO) ist eine Überprüfung der Wahl nur auf der kirchenbehördlichen Ebene zugelassen worden.

Tenor:

Die Anträge werden zurückgewiesen.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben.
Die Antragsteller haben ihre außergerichtlichen Kosten zu tragen.
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Gründe I:

I.
In der Evangelischen A-Kirchengemeinde A-Stadt fand am 27.04.2003 – wie auch in allen anderen Gemeinden der EKHN – die Neuwahl zum Kirchenvorstand statt. Der Dekanatssynodalvorstand des Dekanats A. hat am 22.05.2003 die Wahl mit der Begründung nicht bestätigt, es habe ein rechtswidriges Sammeln und Abgeben von Briefwahlstimmen stattgefunden. Hiergegen haben mehrere Gemeindemitglieder Beschwerde eingelegt, über die die Kirchenleitung durch Beschluss vom 15.07.2003 in der Weise entschieden hat, dass „die Entscheidung des Dekanatssynodalvorstandes A. vom 22.05.2003 ... aufgehoben und das Wahlergebnis gemäß dem Protokoll des Wahlausschusses festgestellt wird.“
Mit einem am 21.08.2003 bei dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag begehrt das Dekanat A., im Wege einer einstweiligen Anordnung, die gewählte Bezeichnung „einstweilige Verfügung“ ist hiermit inhaltlich identisch, den Beschluss der Kirchenleitung vom 15.07.2003 aufzuheben und die Wahl des Kirchenvorstands vom 27.04.2003 in der Evangelischen A-Kirchengemeinde A-Stadt für ungültig zu erklären, hilfsweise die für den 07.09.2003 vorgesehene Einführung des neuen Kirchenvorstands vorläufig auszusetzen.
Zur Begründung beruft sich das Dekanat auf im einzelnen dargelegte Mängel beim Sammeln und Überbringen zahlreicher Briefwahlstimmen. In den genannten Mängeln wird ein Verstoß gegen § 18 Abs. 4 KGWO gesehen, der das Wahlergebnis beeinflusst habe. Das Dekanat hält auch ein Judikat des Kirchengerichtes für zulässig und geboten. Ohne ein solches Judikat drohten irreparable Schäden durch eine Spaltung der Kirchengemeinde, die zu einer weiteren Polarisation zwischen Anhängern und Gegnern des neuen Kirchenvorstandes und zu einer Abwanderung von Gemeindemitgliedern führen werde.
Die Antragstellerin zu 2. ist Mitglied der A-Kirchengemeinde A-Stadt. Sie hat am 03.08.2003 Einspruch gegen die Kirchenvorstandswahl vom 27.04.2003 eingelegt und sich zur Begründung auf Mängel im Wahlverfahren berufen. An der Wahl hätten eine erhebliche Zahl von Jugendlichen teilgenommen, die zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht konfirmiert und daher nicht wahlberechtigt gewesen seien.
Unter Berufung auf den Einspruch und die dargestellten Mängel im Wahlverfahren stellt die Antragstellerin zu 2. mit dem am 01.09.2003 bei dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz den Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung die für den 07.09.2003 geplante Einführung des neuen Kirchenvorstands vorläufig auszusetzen.
Der Antragsteller zu 3. ist ebenfalls Mitglied der A-Kirchengemeinde A-Stadt. Auch er hat am 03.08.2003 Einspruch gegen die Kirchenvorstandswahl vom 27.04.2003 eingelegt und sich zur Begründung auf Mängel beim Ausfüllen von Briefwahlscheinen berufen. In 33 Fällen habe keine ordnungsgemäße Versicherung im Sinne des § 18 Abs. 4 KGWO vorgelegen.
Unter Berufung auf den Einspruch und die dargelegten Mängel im Wahlverfahren beantragt auch der Antragsteller zu 3. mit dem am 03.09.2003 bei dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz, im Wege der einstweiligen Anordnung die geplante Einführung des Kirchenvorstands am 07.09.2003 vorläufig auszusetzen.
Die Kirchenleitung ist der Auffassung, dass die gestellten Anträge unzulässig seien, weil nach § 21 Abs. 4 KGWO die Kirchenleitung in dem Verfahren der Wahlprüfung endgültig entscheide und ein gerichtliches Verfahren nicht vorgesehen sei. Einsprüche und Beschwerden hätten nach § 21 KGWO auch keine aufschiebende Wirkung. § 80 VwGO sei eine Regelung im Zusammenhang mit dem Vorverfahren für einen Gerichtsprozess; ein solcher sei aber durch § 21 Abs. 4 KGWO gerade ausgeschlossen.
Der Dekanatssynodalvorstand des Dekanats A. hat in seiner Sitzung am 04.09.2003 den Einsprüchen der Antragsteller zu 2. und 3. stattgegeben und festgestellt, dass die Kirchenvorstandswahl in der A-Kirchengemeinde A-Stadt nicht rechtsgültig zustande gekommen sei.
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Gründe II:

II.
Alle gestellten Anträge sind bereits deshalb unzulässig, weil dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht durch Kirchengesetz keine Zuständigkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Kirchenvorstandswahlen eingeräumt worden ist.
Der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ist als Religionsgesellschaft verfassungsrechtlich garantiert, dass sie ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig ordnet und verwaltet (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Verfassung). Dazu gehört auch, dass die EKHN selbst bestimmen kann, für welche in ihrem kirchlichen Bereich erwachsenden Streitigkeiten sie eine kirchengerichtliche Zuständigkeit einräumen will (so bereits das Urteil der 1. Kammer des KVVG vom 19.01.1955 – I 1/53 – im Fall „C-Stadter A-Verband“, abgedruckt in Nr. 1 der Entscheidungssammlung). Es gibt auch im Kirchenrecht keine dem Art. 19 Abs. 4 GG entsprechende Generalklausel, wonach jemand, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG kann auch keine die EKHN bindende Verpflichtung zur umfassenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutzgewährung abgeleitet werden, weil dieser Rechtsschutz nur gegen staatliche Maßnahmen garantiert ist.
Demgemäss durfte sich der Kirchengesetzgeber der EKHN dazu entschließen, die gerichtliche Anfechtung einer Kirchenvorstandswahl auszuschließen. Davon hat er im § 21 der Kirchengemeindewahlordnung (KGWO) auch Gebrauch gemacht, indem er eine Überprüfung der Wahl nur auf der kirchenbehördlichen Ebene zugelassen hat. So entscheidet über Einsprüche gegen die Kirchenvorstandswahl zunächst der Dekanatssynodalvorstand (§ 21 Abs. 2 KGWO), und gegen dessen Entscheidung ist die Beschwerde an die Kirchenleitung zulässig (§ 21 Abs. 4 S. 1 KGWO). § 21 Abs. 4 S. 3 KGWO lautet dann: „Die Kirchenleitung entscheidet endgültig.“ Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts (KVVG), dass damit eine Anrufung des Gerichts ausgeschlossen worden ist (vgl. Urteile v. 22.11.1985 – II 9 + 10/85 – und Bescheid v. 29.08.1985 – II 12/85).
Dieser Ausschluss erscheint im übrigen auch sachgerecht. Im kirchlichen Raum entstandene Streitigkeiten müssen nicht zwingend durch Richterspruch beigelegt werden. Eine außergerichtliche Streitbeilegung durch Verwaltungs- und Leitungsinstanzen der EKHN kann sich vielmehr als die geeignetere Form der endgültigen Streitentscheidung erweisen (vgl. dazu auch Urteil des KVVG v. 22.11.1985 – II 9/85). Dies gilt insbesondere für die Entscheidung über die Gültigkeit einer Kirchenvorstandswahl. Der Kirchenvorstand hat eine herausragende Stellung und Bedeutung. Gemäß Art. 6 Abs. 1 KO leitet er nach der Schrift und gemäß dem Bekenntnis die Gemeinde und ist für das gesamte Gemeindeleben verantwortlich. Deshalb ist es sinnvoll und geradezu notwendig, möglichst schnell nach einer Wahl Klarheit über deren Gültigkeit zu schaffen, damit der neugewählte Kirchenvorstand alsbald seine für das Gemeindeleben bedeutsame Tätigkeit aufnehmen kann. Die nach einem behördlichen Instanzenweg noch mögliche gerichtliche Überprüfung der Wahl könnte zu einem langen, für das Gemeindeleben abträglichen Schwebezustand führen.
Auch aus Art. 64 der Kirchenordnung kann keine – kirchenverfassungsrechtliche – Verpflichtung hergeleitet werden, für alle Maßnahmen und Entscheidungen im kirchlichen Bereich eine kirchengerichtliche Überprüfung zu ermöglichen. Art. 64 S. 1 KO bestimmt zwar, dass „zur maßgeblichen Auslegung des geltenden kirchlichen Rechts“ das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht eingerichtet wird. Damit wird aber lediglich klargestellt, dass maßgebliche Entscheidungsgrundlage für das KVVG das kirchliche Recht ist. Damit sollte aber kein umfassender und lückenloser kirchengerichtlicher Rechtsschutz garantiert werden. Aus Art. 64 S. 2 KO ergibt sich vielmehr, dass Art und Umfang der gerichtlichen Zuständigkeit der Regelung durch ein Kirchengesetz überlassen bleiben sollte.
Demgemäss ist auch im Kirchengesetz über das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht (KVVG) in den §§ 2 und 3 nur eine enumerative Zuständigkeit mit der Maßgabe enthalten, dass das Gericht für sonstige Aufgaben zuständig ist, die ihm durch Kirchengesetz übertragen werden (vgl. § 3 Abs. 3 KVVG). Korrespondierend hierzu enthält § 5 Nr. 6 KVVG die klarstellende Aussage, dass das KVVG nicht zuständig ist für die Anfechtung von Entscheidungen in sonstigen Angelegenheiten, für die eine Zuständigkeit des Gerichts durch Kirchengesetz ausgeschlossen ist. Ein solcher Zuständigkeitsausschluss ist aber gerade, wie festgestellt, durch § 21 Abs. 4 KGWO für die Anfechtung einer Kirchenvorstandswahl erfolgt.
Der Ausschluss der Zuständigkeit für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Kirchenvorstandswahl umfasst auch den vorläufigen Rechtsschutz, weil dieser die gerichtliche Zuständigkeit in der Hauptsache voraussetzt. Deshalb durfte das KVVG auch nicht in eine Sachprüfung darüber eintreten, ob die vorläufige Aussetzung der Einführung des Kirchenvorstands am 07.09.2003 geboten gewesen wäre.
Abschließend wird noch der Hinweis gegeben, dass die Einführung des neuen Kirchenvorstands vor Abschluss des Wahlprüfungsverfahrens nicht zu irreparablen Nachteilen führen muss. Die Kirchenleitung kann in ihrer Beschwerdeentscheidung nach § 21 Abs. 4 S. 1 KGWO auch jetzt noch feststellen, ob die Wahl einzelner Kirchenvorstandsmitglieder oder die gesamte Wahl des Kirchenvorstands gültig zustande gekommen ist. Diese Entscheidung kann dann zum Ausscheiden einzelner gewählter Kirchenvorsteher und zum Nachrücken anderer Kandidaten führen (§ 25 KGWO), oder es kann sogar zu einer Neuwahl kommen, wenn die Wahl insgesamt für ungültig erklärt wird (§ 27 KGWO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 36 Satz 1, 38 KVVG, 154 Abs. 1 VwGO.