.
Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:08.11.2002
Aktenzeichen:KVVG II 3+4/02
Rechtsgrundlage:Art. 2 GG; Art. 6 KO; §§ 3,6,36,38 KVVG; §§ 25,27,45 KGO; §§ 2,4 KHO; § 42 VwGO; § 154 VwGO
Vorinstanzen:
Schlagworte:Interessentenklage, Klagebefugnis, Rechtliche Interessen, Verwaltungsakt, Zulässigkeit
#

Leitsatz:

1. Bloße Planungen und Absichten des Kirchenvorstands sind nicht anfechtbar. Wegen fehlender konkreter, unmittelbarer Rechtswirkung nach außen stellen sie noch keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 3 Abs. 2 KVVG dar.
2. Durch einen Beschluss des Kirchenvorstands, „unter Aufgabe des Gemeindehauses die A-Kirche raumbildend zu einem Haus der offenen Kirche umzugestalten“, werden rechtliche Interessen von Einzelpersonen im Sinne des § 6 KVVG nicht berührt.

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten haben die Kläger zu tragen.
#

Tatbestand:

Die beiden miteinander verbundenen Verfahren unterscheiden sich allein dadurch, dass im Verfahren 3/02 ein Mitglied des Kirchenvorstandes und im Verfahren 4/02 vier Glieder der Evangelischen A-Kirchengemeinde A-Stadt gegen einen Beschluss von deren Kirchenvorstand vom 17.01.2002 Beschwerde geführt und Klage erhoben haben.
Der angegriffene Beschluss basierte auf der dem Kirchenvorstand seinerzeit vorgestellten Alternative, entweder
a) Gemeindehaus und Kirche zu renovieren
oder
b) unter Aufgabe des Gemeindehauses die A-Kirche „raumbildend“ zu einem Haus der offenen Kirche umzugestalten.
Der Kirchenvorstand entschied sich mehrheitlich für letztere Lösung.
Mit Schreiben vom 29.01.2002 haben die Kläger gegen diesen Beschluss und das nach ihrer Ansicht damit implizierte weitere Vorgehen (Verhandlung und Vertrag über den Verkauf des Gemeindehauses, Nutzungsvereinbarung über das Gelände um die Kirche, Weiterarbeit mit dem Architekten, Kostenfeststellung, Genehmigung durch die Kirchenverwaltung, Projektdurchführung) Einspruch zum Dekanatssynodalvorstand erhoben, der die Einsprüche unter dem 17.02.2002 als unzulässig zurückgewiesen hat. Die von den Klägern dagegen am 04.03.2002 bei der Kirchenleitung eingelegten Beschwerden sind von dieser ebenfalls als unzulässig unter dem 22.04.2002 zurückgewiesen worden.
Dagegen haben die Kläger die am 23./24. Mai 2002 bei Gericht eingegangenen Klagen erhoben, mit denen sie die Aufhebung des Beschlusses der Kirchengemeinde und die Aufhebung der ebenfalls mitbeschlossenen Vorgehensweise verlangen.
Dazu tragen die Kläger vor:
1. Der Kirchenvorsteher A. kritisiert, dass bei der Beratung und Beschlussfassung des Kirchenvorstandes am 17.01.2002 dieser über die finanziellen und tatsächlichen Auswirkungen der beschlossenen Alternative nicht ausreichend informiert gewesen sei. Deshalb hätte darüber nicht abgestimmt werden dürfen.
2. Alle Kläger rügen:
Durch den angefochtenen Beschluss entstehe der Gemeinde ein erheblicher und durch den Verkauf des Gemeindezentrums ein nicht wieder gut zu machender Schaden.
Durch den angefochtenen Beschluss werde das Gemeindeleben erheblich verändert, da das Gemeindezentrum veräußert und in das Gebäude der eigentlichen Kirche integriert werden solle. Aus Art. 2 Abs. 1 GG leite sich ihr Recht zur weiteren Nutzung des bestehenden Gemeindezentrums ab.
Der Kirchenvorstand habe nach Art. 6 KO und §§ 25 ff. KGO darauf zu achten, dass Gemeindeveranstaltungen zur geistlichen Weiterführung und Zurüstung der Gemeindeglieder gehalten und dafür geeignete Wege gesucht werden. Er müsse darauf achten, dass Verantwortung in der Gemeinde für ökumenische Aufgaben geweckt und das Zusammenleben mit anderen Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften am Ort gefördert werde.
Der Kirchenvorstand sei nach § 27 1 + 2 KGO für die Verwaltung des Kirchenvermögens insbesondere der kirchlichen Gebäude und Grundstücke verantwortlich, sowie für dessen Erhaltung und Nutzung.
Das Vermögen sei nach § 2 II KHO ungeschmälert zu erhalten. Nach § 4 KHO sei eine Veräußerung kirchlichen Vermögens nur dann erlaubt, wenn es zur Erfüllung der Aufgaben in absehbarer Zeit nicht benötigt wird. Das Gemeindezentrum werde durch die bevorstehende Zusammenführung von drei Gemeinden in A-Stadt demnächst aber dringend benötigt.
Deshalb bestehe die Gefahr, dass nach Veräußerung des Gemeindezentrums gewisse Aufgaben des Kirchenvorstandes und einzelner Gemeindegruppen nicht mehr erfüllbar seien. Es werde an Räumlichkeiten und Möglichkeiten fehlen und zu vielen Komplikationen kommen.
Es gäbe weder verlässliche Unterlagen noch Untersuchungen, ob die Mittel aus dem Verkauf des Gemeindezentrums für den geplanten Umbau der A-Kirche ausreichen. Die Kläger zweifeln an, dass bei der Kostenschätzung für den Umbau alle tatsächlich zu erwartenden Kosten angesetzt worden sind. Die Renovierungslösung koste rd. 380.000,00 Euro, die Umbaulösung 1.227.000,00 Euro.
Das beschlossene Projekt stelle deshalb keine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung des Gemeindevermögens dar. Das Gemeindeleben werde nachteiligen Veränderungen unterworfen, weil sich verschiedene Veranstaltungen wechselseitig beeinträchtigen würden.
Die zum Gemeindehaus gehörende Freifläche einschließlich 10 Parkplätzen gehe der Gemeinde verloren.
Ungeklärt sei die Nutzungsmöglichkeit der städtischen Grundflächen um das Kirchengebäude herum mit der Gefahr, dass für jede Veranstaltung dort eine Sondernutzungserlaubnis beantragt werden müsse.
Das Kirchengebäude werde als ein Wahrzeichen der A-Stadt und als historisches und kulturelles Denkmal tangiert. Seine Akustik werde nachteilig verändert.
Durch die beschlossenen Maßnahmen werde es nicht zu reduzierten sondern zu steigenden Gebäudenutzungs-/bzw. Gebäudeunterhaltungskosten kommen.
Die Kläger beantragen übereinstimmend,
den Beschuss des Kirchenvorstands der A-Kirchengemeinde A-Stadt vom 17.01.2002 insoweit aufzuheben, als das Projekt „Raumbildender Ausbau der A-Kirche zu einem offenen Haus der Kirche soll umgesetzt werden“ beschlossen wurde. Insbesondere auch die mit dem Beschluss einhergehende und ebenfalls beschlossene weitere Vorgehensweise (Vertragsverhandlungen und Vereinbarung über den Verkauf des Gemeindehauses, Nutzungsvereinbarung über Gelände um die Kirche, Weiterarbeit mit dem Architekten und Kostenfeststellung, Genehmigung durch die Kirchenverwaltung, Durchführung des Projekts).
Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt und sich darauf beschränkt darzulegen, dass die Klagen unzulässig seien.
Den Klägern fehle die nach § 6 Nr. 3 KVVG erforderliche Klagebefugnis, weil ihre rechtlichen Interessen nicht berührt seien. Eine Rechtsposition, deren Verletzung durch den angefochtenen Beschluss angenommen werden könne, bestehe nicht. Die von den Klägern zitierten Gesetzesstellen (§ 45 KGO, Art. 6 KO, §§ 25, 27 KGO, §§ 2, 4 KHO und Art. 2 Abs. 1 GG) gäben den Klägern keine subjektiven Rechte.
Die Kläger bedauern eine fehlende Auseinandersetzung der Beklagten mit ihren zahlreichen Sachargumenten. Für die Zulässigkeit der Klage reiche eine mögliche Betroffenheit der Kläger. Zwischen sachlicher und rechtlicher Betroffenheit dürfe nicht unterschieden werden.
Die Kläger vertiefen ihre Darstellung der finanziellen Konsequenzen des angefochtenen Beschlusses. Den Kosten von rund 400.000, Euro (eigene Ermittlung) bzw. rund 600.000, Euro (Ermittlung Kirchenverwaltung) für Renovierung beider Gebäude stünden Kosten von 1.200.000, Euro für den raumbildenden Ausbau der Kirche gegenüber, die nur zum Teil (nämlich mit 740.000, Euro) durch den Verkauf des Gemeindehauses gedeckt werden sollten, das dann aber der Gemeinde nicht mehr zur Verfügung stehe.
Die Kläger weisen auf eine Unterschriftensammlung in A-Stadt gegen die Änderungspläne hin. Das Gemeindehaus, von dem sich die Gemeinde nun ohne Not trennen wolle, hätte die vorige Generation nach dem Krieg in Eigenhilfe wieder aufgebaut. Die Planung stoße deshalb auf Unverständnis.
Die A-Kirchengemeinde müsse womöglich für ihren Raumbedarf auf die in den 60er und 70er Jahren abgeteilten Randgemeinden zurückgreifen. Unstreitig handele es sich bei dem Projekt nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung. Die Sache sei so wichtig, dass eine Gemeindeversammlung darüber entscheiden müsse.
Die Vorschriften der KHO schützten nicht nur das kirchliche Vermögen sondern auch die Gemeindeglieder gegen dessen Verlust. Die beschlossene Maßnahme sei keine ordnungsgemäße („wirtschaftliche“) Vermögensverwaltung nach § 4 Abs. 1 KHO.
#

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unzulässig.
Die erhobenen Anfechtungsklagen sind grundsätzlich nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KVVG statthaft, soweit sie sich gegen einen von der Kirchenverwaltung gebilligten Beschluss eines Kirchenvorstandes richten, der eine Entscheidung eines kirchlichen Leitungsorganes zur Regelung eines Einzelfalles kirchlicher Verwaltung ist. Dies gilt jedenfalls insoweit, als der angefochtene Beschluss konkret besagt, dass das Projekt „Raumbildender Ausbau der Stadtkirche“ umgesetzt werden solle. Soweit die Klagen auch eine damit einhergehende „weitere Vorgehensweise“ nämlich beabsichtigte und notwendige Vertragsverhandlungen, Vereinbarungen über Verkauf des Gemeindehauses, Nutzungsvereinbarungen bezüglich des Geländes um die Kirche, Weiterarbeit mit Architekten, Kostenfeststellung, Anträge auf Genehmigung durch die Kirchenverwaltung angreifen, sind sie dagegen schon nicht statthaft, weil diese für das beschlossene Projekt möglicherweise nötigen weiteren Schritte jeweils neue konkrete Beschlüsse des Kirchenvorstandes erfordern, die ihrerseits erst anfechtbare kirchliche Verwaltungsakte im Sinne von § 3 Abs. 2 KVVG darstellen und vorher als bloße Planungen und Absichten nicht angefochten werden können. Ihnen fehlt bis dahin die konkrete unmittelbare Rechtswirkung nach außen.
Soweit die Klagen statthaft sind und den unmittelbar wirkenden Beschluss angreifen, ein bestimmtes Projekt umzusetzen, fehlt den Klägern jedoch für eine zulässige Klage die nötige Klagebefugnis. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil vom 26.05.2000 in II 1/00) zu § 6 KVVG sind Einzelpersonen in den Fällen des § 3 KVVG antragsberechtigt und parteifähig und damit nur dann klagebefugt, wenn sie durch eine beanstandete Maßnahme in ihren rechtlichen Interessen berührt sind. Als Zulässigkeitserfordernis ist dieses Merkmal weit auszulegen, so dass eine Klagebefugnis schon anzunehmen ist, wenn die Kläger hinreichend substantiiert Umstände vortragen, bei deren Vorliegen ihre rechtlichen Interessen berührt sein würden. Ob diese Umstände wirklich vorliegen, ist dann in der Tat erst eine Frage, ob die solcherart zulässig erhobene Klage auch begründet ist.
Nach Auffassung der Kammer fehlt es hier aber an der Berührung rechtlich geschützter Interessen der Kläger. Die Kläger haben zwar vorgetragen, dass und warum sie durch den angefochtenen Beschluss des Kirchenvorstandes in ihren Interessen berührt sind. Es sind das jedoch alles keine, wie § 6 KVVG voraussetzt, rechtlich geschützten Interessen der Kläger. Dafür wäre es nämlich erforderlich, dass sie jeweils eine subjektive Rechtsstellung haben, deren Verletzung geltend gemacht ist. Der Auffassung der Kläger, dass zwischen sachlicher und rechtlicher Betroffenheit nicht unterschieden werden dürfe, kann nach Wortlaut und Sinn des § 6 KVVG nicht gefolgt werden. Vielmehr hat das Merkmal der rechtlichen Interessen in § 6 KVVG ähnlich der Klagebefugnis im staatlichen Prozessrecht nach § 42 Abs. 2 VwGO die Funktion, die bloße Interessentenklage auszuschließen. Es muss die abstrakte Eignung eines Rechtssatzes zur Begründung von subjektiven Rechten dargetan sein.
Davon ausgehend ist die Möglichkeit einer Rechtsverletzung der Kläger durch den angefochtenen Beschluss des Kirchenvorstandes zu verneinen. Es sind keine Rechtsnormen ersichtlich, die den Klägern für ihr Begehren subjektive Rechte einräumen.
Ein solches rechtlich geschütztes Interesse ist auch da nicht gegeben, wo das klagende Kirchenvorstandsmitglied behauptet, dass er im Kirchenvorstand vor der Beratung und Beschlussfassung über die finanziellen und tatsächlichen Auswirkungen nicht ausreichend informiert gewesen sei. Zwar besteht kein Zweifel, dass der Kirchenvorstand vor und bei der Beratung der Tagesordnungspunkte Anspruch auf ausreichende Information hat. Jedoch ist ein solcher Anspruch weder für den ganzen Kirchenvorstand noch gar für ein einzelnes Mitglied einklagbar. Fühlt sich der Kirchenvorstand oder halten sich einzelne seiner Mitglieder für die Beschlussfassung unzureichend informiert, verbleiben ihnen nur die Möglichkeiten einer Vertagung, einer Ablehnung aller Beschlussalternativen oder die Stimmenthaltung.
Das Gericht vermag den Klägern auch darin nicht zu folgen, dass für sie aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht zur weiteren Nutzung bestehender Gemeindeeinrichtungen fließe, welches der angefochtene Beschluss verletzt. Ob und inwieweit Art. 2 GG im Raum der Kirche unmittelbare oder mittelbare Geltung beanspruchen kann, kann dabei unentschieden bleiben. Keinesfalls lässt sich daraus für einen Einzelnen das Recht zur undifferenzierten Nutzung gemeindeeigener Einrichtungen herleiten. Noch viel weniger lässt sich daraus das Recht herleiten, unerwünschte Änderungen oder Streichungen gemeindeeigener Einrichtungen zu verhindern.
Die Kläger betonen zu recht, dass der Vorstand einer Kirchengemeinde eine erhebliche Anzahl wichtiger Aufgaben hat, die er verantwortlich wahrzunehmen hat. Dazu sind ihm auch hinsichtlich der Vermögensverwaltung weitreichende Befugnisse verliehen. Wie ein Kirchenvorstand die ihm nach Kirchenordnung und Kirchengemeindeordnung zufallenden Aufgaben erfüllt, unterliegt aber in erster Linie seiner eigenen verantwortungsbewussten Entscheidung und in zweiter Linie der Prüfung der ihm übergeordneten Organe. Eine einklagbare Rechtsstellung zu einer Überprüfung hat dagegen weder das einzelne Gemeindeglied noch das einzelne Kirchenvorstandsmitglied. Das zeigt ganz deutlich die Regelung in § 45 KGO, der nur den Vorsitzenden des Kirchenvorstandes befugt und gegebenenfalls verpflichtet, rechtswidrige Beschlüsse des Kirchenvorstandes auszusetzen und der abschließenden Prüfung durch die Kirchenleitung binnen drei Tagen zu unterbreiten.
Ähnliche Überlegungen gelten hinsichtlich etwaiger von den Klägern geltend gemachter Verletzungen von Vorschriften der Kirchlichen Haushaltsordnung. Diese Vorschriften binden zweifellos einen Kirchenvorstand, der ihnen nicht zuwiderhandeln darf. Ob gegen sie verstoßen worden ist, unterliegt aber grundsätzlich allein den aufsichtsführenden Stellen und nicht etwa einzelnen Mitgliedern des Vorstandes oder Gemeindegliedern.
Noch weniger ist ein einzelnes Gemeindeglied oder Mitglied des Kirchenvorstandes berechtigt, im Klageweg Gesichtspunkte der Sachwidrigkeit oder Geeignetheit (räumlich-zeitliche Komplikationen, Parkplatzverlust, Denkmaleigenschaft, Akustik) oder der Kosten gegenüber einem Kirchenvorstandsbeschluss geltend zu machen.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben (§ 36 Satz 1 KVVG). Als unterliegender Teil haben die Kläger die außergerichtlichen Kosten zu tragen (§§ 38 KVVG, 154 Abs. 1 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Kirchengemeinde erachtet die Kammer nicht für erstattungsfähig. Da sie keinen Antrag gestellt hat, hat sie auch kein Kostenrisiko übernommen, so dass es nicht der Billigkeit entspricht, ihre Kosten den unterliegenden Klägern oder Kirchenkasse aufzuerlegen.