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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:14.01.1991
Aktenzeichen:KVVG I 9/90
Rechtsgrundlage:Art. 6 KO; §§ 35a,39,41 PfG; § 18 KVVG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Aussetzung der sofortigen Vollziehung, Gedeihliche Amtsführung, Interessenabwägung, Ungedeihlichkeit, Versetzung, Versetzungsverfahren, Verwaltungsakt, Wartestand
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Leitsatz:

Tenor:

Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Bescheids über die Versetzung in den Wartestand vom 29.10.1990 wird abgewiesen.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten trägt der Antragsteller.
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Gründe I:

I.
Der Antragsteller ist seit dem 1. Februar 1988 Inhaber der Pfarrstelle I in der evangelischen Kirchengemeinde A. Die Kirchenleitung hat gegen ihn, einem wiederholten Ansinnen des Kirchenvorstandes der Gemeinde folgend, am 22.5.1990 ein Versetzungsverfahren nach § 35 a Abs. 1 lit. c) Pfarrergesetz (PfG) eingeleitet. Nach Anhörung des Antragstellers und nach Unterbreitung eines Versetzungsangebots hat die Kirchenleitung am 2.10.1990 beschlossen, den Antragsteller mit Wirkung vom 1.11.1990 in den Wartestand zu versetzen. Gleichzeitig hat sie die sofortige Vollziehung angeordnet. Die Kirchenverwaltung hat den Antragsteller durch Bescheid vom 29.10.1990 hiervon unterrichtet und dabei auf eine bereits vorher durch den Kirchenpräsidenten erfolgte mündliche Mitteilung hingewiesen.
In dem Bescheid vom 29.10.1990 sind die Gründe für die Wartestandsversetzung und für die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgeführt. Hierauf wird Bezug genommen.
Der Antragsteller hat gegen den Bescheid vom 29.10.1990 fristgerecht Anfechtungsklage erhoben. Darüber hinaus hat er die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragt.
Er macht u.a. geltend, es fehle an einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe der Wartestandsversetzung; die Rechtsgrundlage für die Versetzung in den Wartestand - § 35 a Abs. 1 lit. c) PfG – sei verfassungswidrig; die Wartestandsversetzung beruhe auf einer unkritischen einseitigen Übernahme der unzutreffenden Darstellungen des Kirchenvorstandes; die Prognose, dass ein gedeihliches Wirken des Antragstellers in der Gemeinde zukünftig nicht zu erwarten sei, beruhe auf einer unhaltbaren Spekulation; die Kirchengemeinde sei nicht durch den Konflikt mit dem Kirchenvorstand gespalten, sondern stehe hinter ihm; die Ursache des Konflikts sei nicht festgestellt, sie läge nicht bei ihm, sondern in der Person des Kirchenvorstandsvorsitzenden G.; die Behauptung, auch in einem anderen pfarramtlichen Dienst sei von ihm keine gedeihliche Arbeit zu erwarten, entbehre jeder Grundlage; ein besonderes kirchliches Interesse an der sofortigen Vollziehung sei nicht gegeben, die Gemeinde leide unter seiner Amtsenthebung.
Die Kirchenleitung/Kirchenverwaltung ist dem Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung entgegengetreten.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Antragsschrift und die Klageschrift vom 27.11.1990 und auf die Antrags- und Klageerwiderung vom 13.12.1990 und 19.12.1990 Bezug genommen.
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Gründe II:

II.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung konnte keinen Erfolg haben. Der Beschluss der Kirchenleitung, den Antragsteller in den Wartestand zu versetzen, ist – beurteilt nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand – keineswegs offensichtlich rechtswidrig.
Die Entscheidung der Kirchenleitung wurde dem Antragsteller ordnungsgemäß bekannt gemacht. Der dem Antragsteller zugestellte Bescheid der Kirchenverwaltung, die ausführendes Organ der Kirchenleitung ist, ist auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet und hat damit die Rechtsnatur eines Verwaltungsaktes. Der Wortlaut des Beschlusses der Kirchenleitung brauchte darin nicht wiedergegeben zu werden.
§ 35 a Abs. 1 lit. c) PfG ist eine gültige Bestimmung des kirchlichen Rechts. Aus der “Verfassung“ gegen diese Bestimmung abgeleitete Zweifel sind unbegründet. Die Tatbestandsmerkmale des § 35 a Abs. 1 lit. c) PfG sind nicht zu unbestimmt. “Gedeihliche Amtsführung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, wie er in Gesetzen der verschiedensten Art oft vorkommt. Die Regelung des § 35 a Abs. 1 lit. c) PfG ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Bestimmung, dass eine Versetzung auch dann zulässig ist, wenn die Gründe nicht in der Person des Pfarrers liegen, hat keinen Strafcharakter. Es ist dem Beruf des Pfarrers immanent, dass ein Pfarrer sich nicht an seiner Pfarrstelle in einer Gemeinde festklammern darf, wenn er – aus welchen Gründen auch immer – in der Gemeinde nicht mehr gedeihlich zu wirken vermag.
Die auf einer Zukunftsprognose beruhende Feststellung der Kirchenleitung, dass von dem Antragsteller eine gedeihliche Führung seines Amtes in der Gemeinde A. nicht mehr zu erwarten ist, weil zwischen dem Antragsteller und dem Kirchenvorstand das Vertrauen zerstört und eine irrevisible Verhärtung eingetreten und die Gemeinde gespalten sei, kann keinesfalls als eine eindeutig verfehlte Beurteilung angesehen werden.
Die nach § 39 PfG i.V.m. § 35 a Abs. 1 lit. c) PfG erfolgte Versetzung in den Wartestand statt in ein anderes Pfarramt ist schon deshalb nicht offensichtlich fehlerhaft, weil der Antragsteller eine Bereitschaft, in eine andere Pfarrstelle überzuwechseln, bisher nicht erkennen ließ.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde auch, wie es erforderlich ist, hinreichend begründet.
Ob der angegriffene Verwaltungsakt im Hauptverfahren endgültigen Bestand haben wird, kann jedoch derzeitig noch nicht abschließend beurteilt werden. Es bedarf einer weiteren Aufklärung, ob die Prognose, dass eine gedeihliche Amtsführung von dem Antragsteller nicht mehr zu erwarten sei, einer Überprüfung, soweit sie das Gericht vornehmen kann ( § 18 Abs. 1 KVVG), standhält.
Da im vorliegenden Fall das Zerwürfnis zwischen dem Kirchenvorstand und dem Antragsteller im Vordergrund steht, könnte möglicherweise die im April 1991 stattfindende Kirchenvorstandswahl und vielleicht schon der durch eine obligatorische Gemeindeversammlung ergänzbare Wahlvorschlag von Bedeutung sein.
Zur weiteren Aufklärung in dieser Richtung ist am 7.1.1991 eine die mündliche Verhandlung der Hauptsache vorbereitende Anordnung ergangen.
Wenn ein angefochtener Verwaltungsakt nicht offensichtlich rechtswidrig ist, eine weitere Klärung erforderlich erscheint und der Ausgang des gerichtlichen Hauptsachverfahrens noch nicht mit großer Wahrscheinlichkeit vorauszusehen ist, muss die Frage des Sofortvollzugs auf Grund einer Interessenabwägung beantwortet werden. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Interessen des Antragstellers, seinen Dienst zunächst fortzuführen, gegen die kirchlichen Interessen, hier insbesondere gegen die Interessen des Kirchenvorstandes und der Kirchengemeinde abzuwägen sind.
Bei dieser Abwägung räumt das Gericht den Interessen des Kirchenvorstandes, der nach Art. 6 Abs.1 der Kirchenordnung die Gemeinde leitet und für das gesamte Gemeindeleben verantwortlich ist, den Vorrang ein. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Kirchenvorstand und dem Antragsteller hat sich zu einem Grad gesteigert, in dem der Frieden in der Kirchengemeinde durch die entstandene Polarisierung und Gruppenbildung gefährdet ist. Wenn der Antragsteller in der derzeitigen Situation seinen Dienst in der Gemeinde wiederaufnehmen könnte, würde dies nach der Überzeugung des Kirchengerichts zu einer weiteren Eskalation der Auseinandersetzungen führen, die dem Gemeindewohl abträglich wäre.
Der Antragsteller muss daher, auch wenn er auf zahlreiche ihm zugeneigte und für ihn eintretende Gemeindemitglieder hinweisen kann, seine eigenen Interessen an der Fortführung seines Dienstes und Ausübung seines Amtes im gegenwärtigen Verfahrensstadium zurückstellen. Er muss auch nicht befürchten, seine Dienstwohnung zum 1. Februar 1991 (drei Monate nach Beginn des Wartestandes) räumen zu müssen, da die Kirchenverwaltung in ihrem Schriftsatz vom 13.12.1991 erklärt hat, sie werde insoweit § 41 PfG nicht ausschöpfen.
Das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht hielt es somit in Abwägung der beiderseitigen Interessen für geboten, die sofortige Vollziehung der Versetzung in den Wartestand zu bestätigen.