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Kirchengericht: | Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 01.02.1991 |
Aktenzeichen: | KVVG II 12/90 |
Rechtsgrundlage: | Art. 6,9 KO; §§ 35,35a,37,39 PfG; § 18 KVVG; § 80 VwGO |
Vorinstanzen: | |
Schlagworte: | Aussetzung der sofortigen Vollziehung, Beurlaubung, Ermessensentscheidung, Ungedeihlichkeit, Versetzung, Versetzungsverfügung, Wartestand |
Leitsatz:
Tenor:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten hat die Antragstellerin zu tragen.
#Gründe I:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehung ihrer Versetzung in den Wartestand.
Die Antragstellerin, die 1967 ordiniert und 1970 zur Pfarrerin auf Lebenszeit ernannt worden war, ist seit 1984 Inhaberin der Pfarrstelle A. im Dekanat C., der die Kirchengemeinden A. und D. zugeordnet sind.
Seit einigen Jahren beanstanden die Kirchenvorstände beider Gemeinden, dass die Antragstellerin sowohl im Gottesdienst als auch im Unterricht abweichend von der 1971 von der Kirchensynode empfohlenen ökumenischen Fassung des apostolischen Glaubensbekenntnisses die früher gebräuchliche Übersetzung mit der Formulierung “Auferstehung des Fleisches“ statt “Auferstehung der Toten“ verwendet.
Zudem wird die Amtsführung der Antragstellerin im Bereich der Verkündigung, der Gemeindearbeit, der Verwaltung und der Zusammenarbeit mit den Kirchenvorständen in einer Reihe von Punkten kritisiert.
Am 22. Januar 1990 stellten die Kirchenvorstände mit einstimmigen Beschlüssen fest, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit mit der Antragstellerin nicht mehr gegeben sei. Beide Kirchenvorstände bestätigten am 17. September 1990 einstimmig diese Feststellung.
Nachdem die Antragstellerin, die Kirchenvorstände sowie der Dekanatssynodalvorstand angehört worden waren und der Pfarrerausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hatte, beurlaubte die Antragsgegnerin in ihrer Sitzung am 30. Oktober 1990 die Antragstellerin gemäß § 37 Pfarrergesetz – PfG – bis zu einer Entscheidung über die Versetzung in den Wartestand. Gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses angeordnet.
In ihrer Sitzung vom 13. November 1990 beschloss die Antragsgegnerin, die Antragstellerin mit Wirkung vom 1. Dezember 1990 in den Wartestand zu versetzen und ordnete den Sofortvollzug dieser Entscheidung an.
Wegen der Gründe wird auf den Bescheid der Kirchenverwaltung vom 20. November 1990, der der Antragstellerin am 24. November 1990 zugestellt wurde, verwiesen.
Mit Schriftsätzen vom 20. Dezember 1990 – bei dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht eingegangen am 21. Dezember 1990 – hat die Antragstellerin Klage gegen die Wartestandsversetzung erhoben und gleichzeitig den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung gestellt.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, für die Maßnahme fehle es an dem besonderen kirchlichen Vollzugsinteresse. Das Interesse der Antragsgegnerin am Sofortvollzug der Wartestandsversetzung überwiege nicht das Interesse der Antragstellerin an deren Aussetzung.
Selbst wenn die Behauptung der Antragsgegnerin, bei einer Wiederaufnahme des Dienstes durch die Antragstellerin träten beide Kirchenvorstände geschlossen zurück, zutreffend wäre, würde hierdurch das Gemeindeleben nicht mehr gestört als durch die Abberufung der Antragstellerin.
Im übrigen sei ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin jedenfalls deshalb anzunehmen, weil die Versetzungsverfügung wegen Rechtsmängeln aufgehoben werden müsse. Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Antragsgegnerin sei für ihre Behauptung, der Konflikt zwischen dem Kirchenvorstand und der Antragstellerin erstrecke sich auch auf die beiden Gemeinden, jede konkrete Sachdarstellung schuldig geblieben.
Auch sei es nicht zutreffend, dass die Antragstellerin generell und unter keinen Umständen zum Dienst in einer anderen Pfarrstelle bereit sei. Im übrigen nimmt die Antragstellerin auf ihr Vorbringen im Klageverfahren sowie auf eine schriftliche Äußerung von Prof. Dr. B. zum Gebrauch des Apostolikums Bezug.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Vollziehung der Versetzung der Antragstellerin in den Wartestand vom 20. November 1990 auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die sofortige Vollziehung der Versetzung in den Wartestand sei im besonderen kirchlichen Interesse geboten, da andernfalls die Situation in den beiden Gemeinden belastet und vor allem die Arbeitsfähigkeit der beiden Kirchenvorstände ernsthaft beeinträchtigt würde. Alle Kirchenvorsteher lehnten eine weitere Zusammenarbeit mit der Antragstellerin ab.
Die Kirchenvorstände könnten deshalb bei einer Wiederaufnahme des Dienstes durch die Antragstellerin ihre vielfältigen Aufgaben als Leitungsorgan der Gemeinde, wozu auch die Vorbereitung der Kirchenvorstandswahl 1991 gehöre, nicht mehr sachgemäß erfüllen. Die Arbeitsfähigkeit der Kirchenvorstände aber sei eine wesentliche Voraussetzung für ein geordnetes Gemeindeleben. Es sei zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Kirchenvorstände bei einer Wiederaufnahme des Dienstes durch die Antragstellerin geschlossen zurücktreten würden.
Die Antragsgegnerin ist weiter der Auffassung, die Wartestandsversetzung sei rechtmäßig. Die Richtigkeit der von den Kirchenvorständen ihrer Beschlussfassung zu Grunde gelegten tatsächlichen Umstände habe die Antragsgegnerin nicht überprüfen müssen. Der Konflikt wirke – wie die Gemeindeversammlung am 9. Mai 1990 zeige – auch in die Gemeinden hinein.
Die getroffene Ermessensentscheidung sei hinreichend begründet. Eine Versetzung der Antragstellerin in eine andere Pfarrstelle sei nicht möglich gewesen, weil die Antragstellerin eine Bereitschaft zum Wechsel in eine andere Stelle bisher nicht habe erkennen lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akten der Verfahren II 7/1990, II 8/1990 und II 13/1990 sowie der vorgelegten Personalakten der Antragstellerin (1 Band) Bezug genommen.
#Gründe II:
II.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Wartestandsversetzung bleibt ohne Erfolg. die angegriffene Maßnahme der Antragsgegnerin ist weder offensichtlich rechtswidrig – mit der Folge, dass ihre sofortige Vollziehung notwendig zu unterbleiben hätte – noch überwiegt nach Auffassung der Kammer das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das kirchliche Interesse am Sofortvollzug der Verfügung.
Allerdings wirft die Versetzung der Antragstellerin in den Wartestand eine Reihe von rechtlichen Problemen auf. So stellt sich im Rahmen der Überprüfungsbefugnis des Gerichts ( § 18 Abs. 1 KVVG) zum einen die Frage, welche Bedeutung den einstimmigen Ungedeihlichkeitsbeschlüssen der beiden Kirchenvorstände und den diesen zu Grunde liegenden Geschehnissen im Rahmen der Feststellung der Antragsgegnerin, dass von der Antragstellerin eine gedeihliche Amtsführung nicht mehr zu erwarten sei, zukommt.
Zum anderen wird zu klären sein, ob bereits die Spannungen innerhalb der Kirchenvorstände für die Ungedeihlichkeitsfeststellung ausreichen oder eine weitergehende Beeinträchtigung des Gemeindelebens hierfür Voraussetzung ist. Im letztgenannten Fall wäre zu prüfen, ob die Antragsgegnerin das in ihrem Schriftsatz vom 31. Januar 1991 erstmals näher dargelegte Hinübergreifen des Konflikts in die Gemeinden bei ihrer Ermessensentscheidung hinreichend gewürdigt hat.
Hinsichtlich der Wartestandsversetzung selbst wird zu untersuchen sein, ob sich die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden Verständnis des Begriffs der Undurchführbarkeit der Versetzung hat leiten lassen. Sie hat nämlich ausweislich des angegriffenen Bescheids darauf abgestellt, dass die Antragstellerin nicht bereit sei, sich auf eine andere Stelle zu bewerben.
Indes setzt die Wartestandversetzung nach § 39 PfG ebenso wie die Versetzung nach § 35a PfG in Abweichung vom Grundsatz des § 35 PfG gerade keinen Antrag und keine Einwilligung des Pfarrers voraus. Es wird deshalb zu erörtern sein, ob die Antragsgegnerin damit bei ihrer Entscheidung mehr gefordert hat als die auch von dem Gericht für erforderlich gehaltene grundsätzliche Bereitschaft zum Dienst in einer anderen Gemeinde (KVVG, Urteil vom 26. Januar 1990 – II 7/1989 -), die die Antragstellerin in ihrem an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 6. April 1990 zumindest verbal bekundet hat.
Als klärungsbedürftig wird sich unter Umständen alsdann die Frage erweisen, ob für die Antragstellerin eine andere, erforderlichenfalls übergemeindliche, Stelle zur Verfügung steht.
Sollte sich die Wartestandsverfügung nach alledem als rechtmäßig erweisen, wird schließlich zu erwägen sein, ob die Antragsgegnerin das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und die Ermessensausübung in dem angefochtenen Bescheid hinreichend begründet hat.
Das Gericht ist im Rahmen der im Eilverfahren nur summarisch möglichen Prüfung der Auffassung, dass keine der angeführten Fragen, deren Klärung teilweise auch von tatsächlichen Feststellungen abhängig ist, derart eindeutig zu Gunsten der Antragstellerin zu beantworten ist, dass von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Wartestandsversetzung gesprochen werden kann.
Hierzu wäre erforderlich, dass keinerlei Zweifel am Ausgang des Verfahrens bestehen. Einer derartigen Feststellung steht indes die Komplexität sowohl der tatsächlichen als auch der rechtlichen Gesichtspunkte des Streitfalles entgegen.
Die sonach vorzunehmende Abwägung des kirchlichen Interesses am Sofortvollzug der Wartestandversetzung mit den privaten Interessen der Antragstellerin an deren Aufschub ergeben ein Überwiegen der kirchlichen gegenüber den privaten Belangen.
Dabei prüft das Gericht nicht lediglich die Vollzugsanordnung der Antragsgegnerin nach, sondern trifft mit dieser Feststellung eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage (vgl. für das staatliche Prozessrecht Kopp, VwGO, 8. Auflage 1989, § 80 RdNr. 78 m.w.N.).
Bei dieser Abwägung gibt das Gericht den Interessen der Antragsgegnerin gegenüber denen der Antragstellerin den Vorrang. Es verkennt dabei nicht, dass hierdurch die Position der Antragstellerin in ihren Gemeinden unabhängig vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens allein durch die mehrmonatige Nichtwahrnehmung der Dienstgeschäfte erheblich beeinträchtigt wird. Auf der anderen Seite muss das Gericht aber berücksichtigen, dass die unter Umständen nur kurzzeitige Rückkehr der Antragstellerin in ihre Gemeinde zu einer erheblichen Unruhe nicht nur in den beiden Kirchenvorständen, sondern darüber hinaus – hiervon ist die Kammer auf Grund der von der Antragsgegnerin vorgelegten Zeitungsausschnitte überzeugt – auch in den Gemeinden führen würde.
Der nach dem Vortrag der Antragsgegnerin angedrohte Rücktritt aller Kirchenvorsteher dürfte zwar kaum mit Wortlaut und Geist der Bestimmungen der Ordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zu vereinbaren sein (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Art. 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KO). Das Gericht kann jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass es keine Möglichkeit gäbe, einen derartigen Schritt zu verhindern.
Er würde – abgesehen davon, dass er den Konflikt verstärkt in die Gemeinde hineintragen würde – vor allem im Hinblick auf die am 28. April dieses Jahres stattfindenden Kirchenvorstandswahlen zu einem unhaltbaren Zustand führen. Durch einen kollektiven Rücktritt könnte nicht nur die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl in Frage gestellt sein; er würde auch die Gefahr in sich bergen, den Wahlakt inhaltlich zu beeinflussen.
Hiermit wäre aber auch der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache letztlich nicht gedient.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben (§ 36 Satz 1 KVVG). Als unterliegender Teil hat die Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten zu tragen (§§ 38 KVVG, 154 Abs. 1 VwGO).