.
Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:12.12.1991
Aktenzeichen:KVVG I 4/91
Rechtsgrundlage:§§ 31,34 KGO; §§ 35,35a PfG; § 3 KVVG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Aussetzung der sofortigen Vollziehung, Kirchenvorstand, Spannungen , Ungedeihlichkeit, Versetzung, Wartestand
#

Leitsatz:

Tenor:

Die sofortige Vollziehung des Beschlusses der Kirchenleitung vom 22.10.1991 in Verbindung mit dem Bescheid der Kirchenverwaltung vom 28.10.1991 über die Versetzung des Antragstellers in den Wartestand wird ausgesetzt.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
#

Gründe I:

I.
Der Antragsteller ist seit dem 16.03.1979 Inhaber der Pfarrstelle I in der Evangelischen ........gemeinde A. Im Kirchenvorstand dieser Gemeinde, in der Pfarrer C. nach dem Amtsantritt des Antragstellers die Pfarrstelle II übernahm, bestehen schon seit mehreren Jahren Spannungen, die sich seit Ende 1988 beträchtlich gesteigert haben. Im Dezember 1982 legte der damalige Vorsitzende des Kirchenvorstandes D. sein Amt nieder. Im Februar 1983 trat er mit drei weiteren Mitgliedern des Kirchenvorstandes aus dem Kirchenvorstand aus. Im November 1987 trat Frau E. von dem Vorsitz im Kirchenvorstand zurück. Sie begründete ihren Rücktritt u.a. mit den Worten: “Schlimm ist, dass die gegenseitige Abneigung sich in unserer Gemeinde nicht auf die beiden Pfarrer beschränkt, dass die Polarisierung quer durch den Kirchenvorstand, ja zum Teil quer durch die Gemeinde geht.“ Im November 1988 entstand im Kirchenvorstand mit Ausstrahlung in die Gemeinde ein heftiger Streit wegen der Unterbringung von Asylanten im Hause C...., der auch zu Verfahren vor dem Kirchengericht führte.
In dem Urteil der 1. Kammer vom 22.03.1991 (I 6/1990) ist die Entwicklung dieses Konflikts wiedergegeben. Im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen, die vor allem durch die Aktivitäten einer Frau F. nicht zur Ruhe kommen, trat der Vorsitzende des Kirchenvorstandes G. im Januar 1991 zurück.
Darauf übernahm Pfarrer C. den Vorsitz im Kirchenvorstand.
In Übereinstimmung mit der Mehrheit des früheren, bis zum 31.08.1991 amtierenden Kirchenvorstandes wirft die Antragsgegnerin dem Antragsteller vor, er habe zu einem großen Teil durch sein Verhalten die unheilvolle Entwicklung in der Gemeinde mitverursacht.
Der Kirchenvorstand hat am 15. November 1990 mehrheitlich durch Beschluss festgestellt, dass aus seiner Sicht eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Antragsteller nicht mehr möglich sei. Die Kirchenleitung hat darauf im Februar 1991 gegen den Antragsteller ein Versetzungsverfahren nach § 35 a PfG eingeleitet.
In diesem Verfahren ist der Kirchenvorstand am 20.10.1990, 15.11.1990 und 19.06.1991 angehört worden. Er hat dabei seine Meinung nicht geändert. Der Antragsteller ist am 07.05.1991 von der Kirchenleitung angehört worden. Zwischen ihm und der Kirchenverwaltung haben darüber hinaus am 09.08.1990, 13.12.1990 und 23.07.1991 Gespräche stattgefunden.
Am 22.10.1991 hat die Kirchenleitung beschlossen, den Antragstellerin den Wartestand zu versetzen und die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses angeordnet. Der Beschluss ist dem Antragsteller durch Bescheid der Kirchenverwaltung vom 28.10.1991 mitgeteilt worden. Auf seinen Inhalt wird Bezug genommen.
Der Antragsteller hat hiergegen Anfechtungsklage erhoben und gleichzeitig die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragt.
Er ist der Auffassung, ihm werde völlig zu Unrecht angelastet, dass er die Schwierigkeiten in der Kirchengemeinde verursacht und zu vertreten haben. Er sei zu einer loyalen Zusammenarbeit mit dem Kirchenvorstand bereit und habe in der Gemeinde viele Anhänger, was sich u.a. aus den vorliegenden Unterschriftslisten deutlich ergebe. Für eine sofortige Vollziehung der Wartestandsversetzung fehle es an einem besonderen kirchlichen Interesse.
Die Antragsgegnerin ist demgegenüber der Auffassung, dass der Antragsteller erhebliche Schwierigkeiten in der Wahrnehmung von Problemen und der Wirkung seines Verhaltens auf andere sowie in der Selbstreflexion und Kommunikation habe. Er sei zu der notwendigen Kooperation nicht in der Lage oder nicht bereit und könne eigenes Fehlverhalten nicht wahrnehmen und korrigieren. Er könne sein verbales Angebot zur Zusammenarbeit nicht in eine tragfähige und dauerhafte Kooperation umsetzen. Die sofortige Vollziehung der Wartestandsversetzung sei notwendig, um ein Zerbrechen des gerade erst gewählten Kirchenvorstandes, der neben den beiden Pfarrern aus zwölf Mitgliedern besteht, von denen sieben wiedergewählt und fünf neugewählt sind, zu verhindern.
Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens, das in der Darstellung von Einzelheiten seitens der Antragsgegnerin und der detaillierten Entgegnung seitens des Antragstellers besteht, wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
#

Gründe II:

II.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist zulässig. Die Wartestandsversetzung stellt einen kirchlichen Verwaltungsakt im Sinne des § 3 Abs. 2 KVVG dar. Eine gegen einen Verwaltungsakt gerichtete Anfechtungsklage hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch bei Anordnung der sofortigen Vollziehung. Diese Anordnung kann – wie es hier der Fall ist – gesondert und vorab einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist begründet.
Die Frage, ob die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes auszusetzen ist, beantwortet sich zunächst danach, ob der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig ist. Eine derartige Offensichtlichkeit kann gegenwärtig weder in dem einen noch in dem andern Sinne bejaht werden.
Wie die 2. Kammer des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht in ihrem Urteil vom 09.08.1991 (II 13/1990) ausgeführt hat, ist das Tatbestandsmerkmal “Gedeihliche Amtsführung“ in § 35 a Abs. 1 lit c PfG ein unbestimmter Rechtsbegriff, den das Gericht voll zu überprüfen hat. Dabei ist der Sachverhalt zugrunde zu legen, wie er sich am Tage der Beschlussfassung der Kirchenleitung darstellt. Wenn ein Kirchenvorstand nach gewissenhafter, sorgfältiger Prüfung aus nachvollziehbaren und einsichtigen Gründen das für ein gedeihliches Wirken erforderliche Vertrauens- und Gemeinschaftsverhältnis nicht mehr für gegeben erachtet, so ist damit in der Regel für einen Pfarrer ein gedeihliches Wirken in der Gemeinde nicht mehr möglich. Anders ist es allerdings, wenn der Kirchenvorstand grundlos und willkürlich die Zusammenarbeit mit dem Pfarrer verweigert und somit rechtsmissbräuchlich handelt. Insoweit hat das Gericht die Meinungsbildung des Kirchenvorstandes einer Kontrolle zu unterziehen.
Bei der Prognose, ob auch in Zukunft ein gedeihliches Wirken nicht mehr zu erwarten ist, mag zwar der Kirchenleitung ein Beurteilungsspielraum zukommen, der nur in eingeschränktem Umfang gerichtlich überprüfbar ist. Bei der Einschätzung der künftigen Entwicklung ist aber auch ins Auge zu fassen, dass ein personeller Wechsel im Kirchenvorstand unter Umständen ein früher eingetretenes Zerwürfnis beheben kann, insbesondere dann, wenn man allseits zu einem Neuanfang bereit ist.
Geht man von diesen Grundsätzen, die die zweite Kammer in ihrem Urteil vom 09.08.1991 dargelegt hat und die sich die erste Kammer voll zu eigen macht, aus, so ist zu sagen:
Aufgrund des Sach- und Streitstandes, wie er sich gegenwärtig dem Gericht darbietet, spricht zwar einiges dafür, dass der bisherige Kirchenvorstand in einer möglicherweise etwas einseitigen und verkürzten Betrachtungsweise dem Antragsteller die hauptsächliche Verantwortung für die entstandenen Schwierigkeiten anlastet. So zeigt beispielsweise der Umstand, dass Pfarrer C. die Einladung zur konstituierenden Sitzung des neuen Kirchenvorstandes vornahm, obwohl er dazu nach § 31 KGO nicht kompetent war und obwohl die Einladungsfrist von dem Antragsteller noch hätte gewahrt werden können, dass bei den vorliegenden Misshelligkeiten auch Störfaktoren im Spiele sind, die sicher nicht dem Antragsteller zugeschrieben werden können. Es erscheint auch zweifelhaft, ob dem Antragsteller für die Amtsniederlegungen von Kirchenvorstehern, wie sie seit 1982 in der Gemeinde zu verzeichnen sind, eine überwiegende Verantwortung zugeschoben werden kann. Auch die Vorwürfe, er habe in einer Sitzung am 25.02.1991 durch vor sich hingesprochene Schimpfworte andere Kirchenvorsteher beleidigt, und er hätte in weit stärkerem Maße sich von Frau F. distanzieren müssen und habe dem Vorsitzenden des Kirchenvorstandes G. die ihm zustehende Unterstützung versagt, sind nicht eindeutig geklärt.
Dessen ungeachtet kann man bei dieser Situation, jedenfalls nicht zur Zeit, zu der Feststellung gelangen, der bisherige Kirchenvorstand habe grundlos und willkürlich die Zusammenarbeit mit dem Antragsteller verweigert und somit treuwidrig gehandelt.
Andererseits ist jedoch auch ins Auge zu fassen, dass der Beschluss der Kirchenleitung über die Wartestandsversetzung zu einer Zeit erfolgte, als bereits die Amtsperiode des neuen Kirchenvorstandes begonnen hatte. Wenn auch die Mehrzahl der Mitglieder des neuen Kirchenvorstandes aus Mitgliedern des alten Kirchenvorstandes besteht, so erscheint es dennoch unerlässlich, dass der neue Kirchenvorstand nach gründlicher und gewissenhafter Abwägung darüber befindet, ob auch er – etwa in einer deutlichen Mehrheit – keine Möglichkeit sieht, mit dem Antragsteller vertrauensvoll und konstruktiv zusammenzuarbeiten. Dabei wird der neue Kirchenvorstand auch zu berücksichtigen haben, dass der Antragsteller offensichtlich bei zahlreichen Gemeindegliedern in gutem Ansehen steht und dass der Kirchenvorstand auch diesen Gemeindemitgliedern gegenüber Verantwortung trägt.
Lässt sich somit gegenwärtig ein Erfolg oder Misserfolg der vom Antragsteller erhobenen Anfechtungsklage noch nicht abschätzen, so kommt es für die Frage des Sofortvollzugs der Wartestandsversetzung auf eine Interessenabwägung an. Die Interessen des Antragstellers, seinen Dienst jedenfalls zunächst fortzuführen, sind gegen die Interessen der Antragsgegnerin, des Kirchenvorstandes und der Kirchengemeinde abzuwägen.
Bei dieser Interessenabwägung vermag das Gericht ein besonderes kirchliches Interesse am Sofortvollzug, das die Interessen des Antragstellers überwiegt, nicht zu bejahen.
Dabei ist zunächst folgendes zu berücksichtigen: Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung u.a. damit begründet, dass der Antragsteller die Feststellung der Kirchenverwaltung, Pfarrer C. habe gemäß § 34 Abs. 1 KGO den Vorsitz im neuen Kirchenvorstand zu führen, nicht akzeptieren werde. Diese Annahme ist überholt. Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung eindeutig erklärt, dass er nicht weiterhin den Vorsitz im neuen Kirchenvorstand beanspruche. Im übrigen kann bei der unklaren Regelung des § 34 Abs. 1 KGO dem Antragsteller wegen seiner Rechtsauffassung, dass wenn kein Kirchenvorsteher zum Vorsitzenden gewählt werde, der bisherige Pfarrer-Vorsitzende sein Vorsitzendenamt nicht für eine unverbrauchte Restzeit automatisch fortführe, kein Vorwurf gemacht werden.
Die zur Anordnung des Sofortvollzugs weiter gegebene Begründung, es sei zu befürchten, dass die Arbeitsfähigkeit des neuen Kirchenvorstandes ernsthaft gefährdet sei, wenn der Antragsteller während der Dauer des kirchengerichtlichen Hauptverfahrens seinen Dienst in der Gemeinde fortsetze, vermag das Gericht nicht voll zu überzeugen.
Da das entstandene Zerwürfnis nicht allein an der Person des Antragstellers festgemacht werden kann, würden aller Voraussicht nach auch bei einer Dienstenthaltung des Antragstellers während der Dauer des Anfechtungsrechtsstreits weiterhin Spannungen im Kirchenvorstand und in der Gemeinde bestehen. Die Antragsgegnerin wird sicher geeignete Wege finden, um einem zerstrittenen Kirchenvorstand Hilfe zu geben. Schließlich gehört es auch zu den Pflichten von Pfarrern und Kirchenvorstehern, Spannungen in zumutbarem Umfang auszuhalten und sich um eine sachliche und faire Austragung vorhandener Meinungsverschiedenheiten nach besten Kräften zu bemühen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 36, 38 KVVG, 154, I VwGO.